"Jedes Reich, das in sich uneins ist, zerfällt"
Die Goldene Bulle von 1356 regelte die Rechte und Pflichten der Kurfürsten als Wahlmänner der römisch-deutschen Kaiser





Nach dem aus Goldblech gefertigten Siegel wurde das Reichsgrundgesetz Goldene Bulle genannt. Das kostbare Münchner Exemplar (links) war 2006 für einige Tage in Berlin ausgestellt.



Kaiser Karl IV. (1316-1378) war der Sohn König Johanns von Böhmen, der von 1311 bis 1345 regierte, wurde 1346 deutscher und böhmischer König und 1355 römisch-deutscher Kaiser. Die farbige Miniatur aus der Zeit um 1400 in der Wiener Nationalbibliothek (Cod. Vindob. 338, Prag, 1400) befindlichen Abschrift der Goldenen Bulle zeigt ihn reitend in einem blauen Königsmantel mit Hermelinkragen gehüllt. Die künstlerische Ausschmückung eines unbekannten Meisters mit 48 Miniaturen und zahlreichen Initialen ist eine Spitzenleistung der böhmischen Buchmalerei. Einem Hinweis am Schluss kann man entnehmen, dass der Codex im Auftrag des deutschen (römischen) und böhmischen Königs Wenzel IV. entstanden ist. Es wird angenommen, dass die prachtvolle Abschrift den Anspruch dieses Sohns von Karl IV. auf die ihm aberkannte römische Königswürde legitimieren. Es könnte auch sein, dass das Buch bei den Verhandlungen mit dem Papst über eine Kaiserkrönung in Rom dienen sollte.



Karl IV. ist der geistige Vater der Goldenen Bulle. Sein Bronzedenkmal, ein Nachguss von der Berliner Siegesallee, schmückt seine ehemals glanzvolle Residenz, die Burg in Tangermünde (Kreis Stendal, Sachsen-Anhalt). Die Miniatur zeigt den thronenden Kaiser mit den Insignien seines Amtes und flankiert vom doppelköpfigen Reichsadler und dem böhmischen Löwen. Rechts schaut der gekrönte Herrscher vor der Karlsbrücke in Prag huldvoll auf die Passanten herab.



Die in Nürnberg und Metz beschlossene Wahlordnung legte die Ehrenämter, Pflichten und Privilegien der geistlichen und weltlichen Kurfürsten fest und verpflichtete sie, den allgemeinen Landfrieden zu bewahren. Der kolorierte Holzschnitt stammt aus dem 15. Jahrhundert.



Die Seite 2 r der Wiener Handschrift der Goldenen Bulle aus dem Jahr 1400 (hier ein Ausschnitt) mahnt in lateinischer Sprache "Omne regnum in se ipsum divisum desolabitur - Jedes Reich, das in sich uneins ist, zerfällt."



Der römisch-deutsche Kaiser stand an der Spitze des Reiches, im Ständebuch des Jost Ammann von 1568 wird er mit Julius Caesar verglichen. Der spanische König Karl wurde 1519 mit 19 Jahren dank massiver finanzieller Unterstützung durch das Augsburger Handelshaus Fugger zum Reichsoberhaupt gewählt. Außer einigen Kurfürsten profitierten auch deren Höflinge von Bestechungsgeldern, die man "Handbalsam" nannte.



Der kolorierte Holzschnitt aus dem Jahr 1511 zeigt den schwarzen, doppelköpfigen Reichsadler mit dem gekreuzigten Christus auf der Brust sowie den Wappen der Kürfürsten und weitere geistlicher und weltlicher Fürstentümer und einiger bedeutender Reichsstädte wie Köln, Regensburg, Augsburg und Konstanz.



Viele kurfürstliche Münzen sind mit Insignien geschmückt, welche auf die Erzämter verweisen. Links steht auf dem Gulden von 1680 das Zepter im Wappenschild für das vom brandenburgischen Kurfürsten Friedrich Wilhelm ausgeübte Amt des Erzkämmerers und rechts symbolisieren die gekreuzten Schwerter auf dem Gulden von 1676 die vom sächsischen Kurfürsten Johann Georg II. ausgeübte Würde eines Erzmarschalls.



Mit Kronen und lateinischen Wahlsprüchen geschmückte Auswurfsmünzen aus Silber oder sogar Gold waren bei Volksfesten anlässlich von Huldigungen und Krönungen sehr begehrt. (Fotos/Repros: Caspar)

Bei einigen Sportarten gibt es neben der Pflicht auch die Kür. Sportlerinnen und Sportler können hier ihre Figuren innerhalb bestimmter Leistungsvorgaben frei wählen, also küren, und gestalten. Die Möglichkeit der Wahl ganz anderer Art, nämlich die des Reichsoberhaupts, hatte im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation, das 1806 ein unrühmliches Ende nahm, eine exklusive Riege von Reichsfürsten. Diese Kurfürsten oder Electoren, also Wahlmänner, hatten das Recht, den deutschen König beziehungsweise Kaiser zu bestimmen. Das Procerere wurde in der lateinisch verfassten Goldenen Bulle festgelegt. Der Name des 1806 gültigen Reichsgrundgesetzes bezieht sich auf ein aus gestanztem Goldblech bestehendes Siegel, die "aurea bulla", das den thronende Kaiser Karl IV. dargestellt, der auch König von Böhmen und Markgraf von Brandenburg war. Beiderseits des gekrönten Monarchen, der das Zepter und den Reichsapfel in den Händen hält, sind der Reichsadler und der böhmische Löwe in Wappenschildern zu erkennen.

Vor und nach Karl IV., der einer der bemerkenswertesten Herrscher des deutschen und europäischen Mittelalters war und dessen Denkmäler in Prag und Tangermünde stehen, seiner Zweitresidenz in der brandenburgischen Altmark, haben andere römisch-deutsche Könige und Kaiser ihre als wichtig erachteten Urkunden ebenfalls mit Goldbullen gesiegelt. Unumstritten war der Kaiser nie, dem in der Öffentlichkeit und in der Historiographie vor allem seit 1978 so viel Aufmerksamkeit zuteil wurde wie kaum einem anderen deutschen Herrscher. Seine Gegner hielten ihn für einen eitlen, unehrenhaften Geschäftemacher und würdelosen Ränkeschmied, hingegen sahen seine Befürworter in ihm Kaiser einen weisen, umsichtigen und einflussreichen Herrscher.

Politisches Fundament des Römisch-deutschen Reichs

In seiner mit 30 Jahren damals ungewöhnlich langen Regierungszeit hat der Kaiser mit der Goldenen Bulle das politische Fundament des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation gelegt, das als Folge der französischen Revolution von 1789 und 1806 unter dem Einfluss des napoleonischen Frankreich sang und klanglos unterging. In einem Jahrhundert voll von Pest- und Hungerkatastrophen gelang es Karl IV., seinen Einfluss durch politisches Geschick auszuweiten und die deutschen Fürsten auf ein Grundgesetz einzuschwören. In Prag geboren, war der Kaiser und König ein großer Förderer von Kunst, Kultur und Bildung, zudem gründete er 1348 dort die erste deutsche Universität, die nach ihm benannt wurde. Er war der einzige deutsche Herrscher des Mittelalters, der eine von 1350 reichende Selbstdarstellung verfasst hat. Sein in lateinischer Sprache verfasstes und mit Abbildungen von Miniaturen aus mittelalterlichen Handschriften versehenes Werk "Die Autobiographie Karls IV. Vita Caroli Quarti" würdigt den Herrscher als großen Europäer auf dem Kaiserthron. Es erschien 2016 in lateinischer Sprache mit deutscher Übersetzung anlässlich seines 700. Geburtstags des Autors in der Bibliothek Historischer Denkwürdigkeiten des Alcorde Verlag Essen, übersetzt, eingeleitet und kommentiert von dem Freiburger Historiker Eugen Hillenbrand (308 Seiten, 52 farbige Abbildungen, 36 Euro, ISBN 978-3-939973-66-9).

Da Karls Lebensbeschreibung um das Jahr 1350 endet, konnte sie nicht mehr die von ihm initiierte Goldene Bulle berücksichtigen, aber sie weist den Weg hin zu diesem berühmten Dokument. Für den Kaiser sind die Kurfürsten die Säulken und Flanken des Reiches und die "sieben Leuchter, die die Einigkeit des siebenfältigen Geistes das Heilige Reich erhellen sollen." Ihnen gibt er unter Berufung auf die Bibel zu wissen: "Jedes Reich, das in sich uneins ist, zerfällt", und er trägt ihnen auf, ihre Söhne und Nachfolger in mehreren Sprachen unterrichten zu lassen, "da des Heiligen Römischen Reichs Erhabenheit die Gesetze und die Verwaltung verschiedenartiger, durch Sitten, Lebensweise und Sprachen sich unterscheidender Völker zu regeln hat." Diese von den Kurfürsten zu beherrschenden Sprachen sollte Deutsch, Lateinisch, Italienisch und Tschechisch sein. Bei ihm, Karl IV., kam "dank göttlicher Gnade" zu diesen Sprachen noch die französische hinzu.

Reichstage von 1356 in Nürnberg und Metz

Der kleine, aber feine Wahlmännerklub bestand aus den drei geistlichen Kurfürsten von Mainz, Trier und Köln, ergänzt durch die weltlichen Kürfürsten von der Pfalz, Sachsen und Brandenburg sowie den König von Böhmen. Einstimmigkeit bei der Kür war nicht nötig. Gewählt war, wer die meisten Stimmen auf sich vereinigte. Die ungerade Zahl schloss eine Pattsituation aus. Die Kurwürde ging einigen Herrscherfamilien im Laufe der Zeit verloren, andere konnten sie erwerben. Außerdem kamen zu den sieben Kurfürsten in der Barockzeit die von Bayern und Hannover hinzu. Durch den Reichsdeputationshauptschluss von 1803 ging die Kur von Mainz auf Regensburg über. Für die an Frankreich gefallenen Kurfürstentümer Köln und Trier wurden vier neue geschaffen, und zwar Württemberg, Baden, Hessen-Kassel und Salzburg. Nach dem Ende des römisch-deutschen Reichs am 6. August 1806 schmückte sich der Landgraf von Hessen-Kassel mit dem inzwischen anachronistisch gewordenen Titel eines Kurfürsten.

Zunächst wurde die Goldene Bulle am 10. Januar 1356 auf dem Reichstag in Nürnberg in Gestalt des aus 23 Abschnitten bestehenden Nürnberger Gesetzbuches beschlossen, in dem unter anderem festgelegt wurde, wie die Kaiserwahl erfolgt und welche Rechte und Privilegien die Kurfürsten haben. Am Weihnachtsfest, dem 25. Dezember 1356, wurden von Karl IV. auf dem Reichstag in Metz als Fortsetzung die Abschnitte 24 bis 31 erlassen, die unter anderem schwerste Strafen für diejenigen vorsahen, die sich gegen die Majestät erheben. Mit der Goldenen Bulle wurde das traditionelle Recht der Reichsfürsten abgeschafft, einen Mann aus ihrer Mitte zum Reichsoberhaupt zu wählen. Jetzt besaßen nur noch die Kurfürsten das alleinige Wahlrecht.

Eigeninteressen dominierten oft genug die der Allgemeinheit

In dem Dokument wurde verbrieft, dass wichtige, das Reich betreffende Entscheide und Gesetze der Zustimmung der Kurfürsten bedürfen. Da diese aber oft genug ihre eigenen Interessen vertraten und oft genug das Wohl und Wehe des Reiches übersahen, gab es Streitigkeiten und fehlenden Konsens. Oft genug dominierten Eigeninteresse die der Allgemeinheit. Einig waren sich die Kurfürsten vor allem dann, wenn es um die Abwendung äußerer Gefahren ging, etwa in Gestalt der im 16. und 17. Jahrhundert bedrohlich herannahender Türkenheere. Aber als Ende des 17. Jahrhunderts der französische Sonnenkönig Ludwig XIV. die Pfalz und das Elsass überfiel, setzten sich einige Reichs- und Kurfürsten über das Gebot der Solidarität hinweg und machten mit dem Aggressor zeitweilig gemeinsame Sache.

Da das alte Reich eine Wahlmonarchie war, sah sich derjenige, der die Reichskrone erwerben wollte, genötigt, die in der Goldenen Bulle weitschweifig beschriebenen Rechte und Privilegien der Kurfürsten immer wieder von neuem zu bestätigen. Die Electoren konnten dem Kandidaten Bedingungen stellen, und der tat gut daran, sie zu erfüllen. Dass es bei Kaiserwahlen oft nicht mit rechten Dingen zugegangen ist, zeigt die Kür des 19 Jahre alten spanischen Königs Karl 1519 zum römisch-deutschen Kaiser Karl V. Jakob Fugger, genannt der Reiche als Chef des damals bedeutendsten Handelshauses, bot Karl finanzielle Hilfe in der Erwartung an, daraus allerhand Vorteile ziehen zu können. Die von dem in Augsburg ansässigen Fugger zur Verfügung gestellte Riesensumme von mehr als 800 000 Goldgulden und Zuwendungen anderer Handelshäuser reichten aus, um Gegenkandidaten aus dem Feld zu schlagen. Fugger ließ sich die Zuwendung an Karl V. mit der Gewährung von Privilegien und Schürfrechten vor allem in der eben erst entdeckten Neuen Welt, also Amerika, teuer bezahlen. Doch nicht nur die Kurfürsten ließen sich ihr Votum durch einen großen Batzen Geld vergolden, auch andere Personen an ihren Höfen hielten die Hände bei dieser Art politischer und finanzieller "Landschaftspflege" auf, weshalb man diese Bestechungsgelder auch mit "Handsalbe" umschrieb. Da sich der bei der Wahl in das höchste deutsche Amt unterlegene Franzosenkönig Franz I. vom römisch-deutschen Reich und von Spanien eingekreist glaubte, brach er einen jahrelangen Krieg gegen seinen aus dem Hause Habsburg vom Zaun. Dieses hatte bis auf eine kurzfristige Ausnahme von 1740 bis 1745 bis zum Ende des römisch-deutschen Reichs 1806 die Würde des Reichsoberhaupts inne und wusste es für eigene Zwecke auszunutzen.

Allgemeiner Landfrieden als oberstes Gebot

Die Abhängigkeit des Reichsoberhaupts vom Wohlwollen der Kurfürsten trug also nicht gerade zu dessen Stärke im Reich bei. Die Goldene Bulle schrieb den Kurfürsten und allen anderen Fürsten und Herren den allgemeinen Landfrieden als oberstes Gebot vor, doch wie die Geschichte zeigt, haben sie sich um solche Gebote selten geschert, wenn es um das eigene Wohl ging. So konnte es vorkommen, dass deutsche Kur- und andere Fürsten Bündnisse mit ausgesprochenen Reichsfeinden eingingen. Wichtig für den Bestand der Fürstenherrschaft im römisch-deutschen Reich war die Klausel in der Goldenen Bulle, wonach die weltlichen Kurfürstentümer niemals geteilt werden dürfen. Sollte ein dort herrschendes Geschlecht aussterben, würde dessen Land an das Reich gehen. Dieser Fall ist nicht eingetreten, allerdings wurden wegen massiver Erbstreitigkeiten und Nachfolgeprobleme blutige Kriege wie der von Ludwig XIV. provozierte Pfälzische Erbfolgekrieg von 1688 bis 1697, der Österreichische Erbfolgekrieg von 1740 bis 1748 um die Nachfolge von Kaiser Karls VI., des Vaters der Maria Theresia, und der Bayerische Erbfolgekrieg von 1778/1779, bei dem es um die österreichischen Ansprüche auf Niederbayern und die Oberpfalz nach dem Absterben der bayerische Linie der Wittelsbacher im Jahre 1777.

Bestimmungen über Bergwerke und das Münzwesen

Da die Kurfürsten oft genug eigene Interessen vertraten und deshalb auch das Große und Ganze übersahen, blieb die geforderte Einigkeit oft genug auf dem Papier stehen. Neben eher allgemein gehaltenen Appellen zur Gottesfurcht und Friedfertigkeit sowie Strafandrohungen im Falle des Zuwiderhandelns enthält die Goldene Bulle auch Bestimmungen über Gold-, Silber und andere Bergewerke sowie über das sehr einträgliche und eifersüchtig gehütete Privileg zur Münzprägung sowie über das Gerichtswesen und die Immunität der Kurfürsten. Die Goldene Bulle bestätigt dem König von Böhmen, also Karl IV. und seinen Nachfolgern im Prager Hradschin, sowie den geistlichen und weltlichen Kurfürsten und ihren Nachfolgern und Nachfahren den Besitz an "allen Bergwerken auf Gold, Silber, Zinn, Kupfer, Eisen, Blei und Metalle anderer Art sowie auch auf Salz, die bereits gefunden worden sind oder gefunden werden. [...] Ferner verfügen Wir, dass dem jeweiligen König von Böhmen, Unserem Nachfolger, erlaubt ist, Gold- und Silbermünzen an jedem Ort seines Königreichs und aller ihm untertanen und zugehörigen Länder zu schlagen und schlagen zu lassen, wo es der König befielt und es ihm gefällt, nach jeder Weise und Form, die hierbei im Königreich Böhmen bisher beachtet worden ist".

Der Abschnitt 10 der Goldenen Bulle "Über Münzen" endet mit der Versicherung: "Und Wir wollen kraft Unseres kaiserlichen Gesetzes, dass diese Verfügung und Gnade sich in jeder Weise auch auf alle geistlichen und weltlichen Kurfürsten erstrecken soll sowie auf ihre Nachfolger und rechtmäßigen Erben". Damit war zunächst den Kurfürsten das Berg- und Münzregal verbrieft, doch blieb dieses nicht nur auf die sieben Wahlmänner beschränkt, sondern wurde bereits zum Zeitpunkt des Erlasses der Goldenen Bulle von zahlreichen anderen Fürstlichkeiten sowie von Städten ausgiebig wahrgenommen. Das kaiserliche Gesetz schrieb im Grunde nur fest, was bereits Usus war.

Wahl in Frankfurt am Main und Krönung in Aachen

An der Spitze des Kurfürstenkollegiums stand der Erzbischof von Mainz, der als Erzkanzler zur Königs- und Kaiserwahl einlud und sie leitete. Gewählt wurde in der Bartholomäuskirche, also dem Kaiserdom zu Frankfurt am Main. Wenn man sich nach 30 Tagen immer noch nicht auf eine Persönlichkeit geeinigt hatte, bestimmte die Goldene Bulle, sollte bei Wasser und Brot so lange weiterverhandelt werden, bis eine gültige Wahl zustande kam. Ein solcher Fall ist allerdings nicht bekannt geworden. War eine Wahl zustande gekommen, erfolgte die Krönung im Dom zu Aachen oder im Frankfurter Dom. Alle Wahl- und Krönungszeremonien waren begleitet von ausgiebigen Festlichkeiten und Schmausereien, bei denen die Kurfürsten bestimmte zeremoniale Handlungen vornehmen mussten. So überliefern Holzschnitte, wie etwa der Kurfürst von Sachsen als Erzmarschall und der Kurfürst von Brandenburg als Erzkämmerer das Reichsoberhaupt an seiner um sechs Fuß erhöhten Tafel mit erlesenen Speisen und Getränken bedienen. Erst wenn alle den ersten Mann im Reich versorgt haben, durften sie sich um Festmahl setzen. Zu den Zeremonien gehörte auch die Versorgung der Menschenmenge mit Speis und Trank, außerdem wurden Krönungsmünzen und -medaillen den Schaulustigen zugeworden. Den Vorgang hat der junge Goethe 1764 bei der Wahl und Krönung von Kaiser Joseph II. in Frankfurt am Main erlebt und in seiner Autobiographie ausführlich beschrieben.

Karl IV. stellte der Goldenen Bulle eine mit vielen Zitaten aus der Bibel versehene Beschreibung der ziemlich desolaten Verhältnisse in seinem Reich voran. Die Anklage beginnt mit der Warnung, das Reich vor Zersplitterung und Verödung zu bewahren, und endet mit diesem Appell: "Wir wollen die Einigkeit unter den Kurfürsten fördern, Einmütigkeit bei der Wahl herbeiführen und der verwünschten Zwietracht und den vielfachen aus ihr erwachsenden Gefahren den Einlass verwehren. Daher haben Wir durch die Würde Unseres kaiserlichen Amtes die untenstehenden Gesetze erlassen, aufgestellt und bekräftigt". Der Kaiser hatte allen Grund, in die Goldene Bulle auch Sätze wie diese zu schreiben, denn die Lage im Reich war instabil und es konnte jederzeit zu einem Aufruhr gegen die Reichsgewalt kommen: "Wer mit Fürsten, Rittern, Privatpersonen oder Leuten aus dem Volke eine Verschwörung eingeht oder sich einer solchen anschließt [...], um Uns und des Heiligen Römischen Reiches ehrwürdigen und erlauchten geistlichen und weltlichen Kurfürsten - beziehungsweise einen von ihnen - zu ermorden, der soll als Majestätsverbrecher mit dem Schwerte hingerichtet werden; denn die Kurfürsten sind ein Glied Unseres Leibes. Auch besagen die Gesetze, dass die Absicht eines Verbrechens ebenso bestraft wird wie die durchgeführte Tat. Seine Güter erhält Unsere Schatzkammer".

Aus der Geschichte sind solche Verschwörungen bekannt, deren Mittäter und Mitwisser, wenn man ihrer habhaft wurde, geächtet, hingerichtet und auf andere Art mit aller Härte verfolgt wurden. Strafe und Vermögenseinzug sollte auch die Söhne und Familien der Verschwörer treffen. Ebenso wurde Befürwortern von Akten des Aufruhrs angedroht, dass "sie ohne Erbarmen verrufen sein sollen". Bei der gerichtlichen Verfolgung der Majestätsverbrechen war laut Goldener Bulle Folter auch an Helfern und Mitwissern ausdrücklich erlaubt. Auf der anderen Seite sollte denjenigen verziehen werden, die an einer Verschwörung teilgenommen haben und - wenn auch spät - bisher unbekannte Geheimnisse und Pläne der Obrigkeit kundtun. Karl IV. gelang es nicht, trotz seiner Hinweise auf die Heilige Schrift die Stände davon zu überzeugen, dass es besser ist, sich der königlichen beziehungsweise kaiserlichen Ordnung zu unterwerfen. Nicht ein mal sein den böhmischen Ständen vorgelegtes Gesetzeswerk "Codex Majestatis nostrae" konnte er nicht durchsetzen.

29. September 2020

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