Stark im Glauben: Otto Zoff über Hugenotten, die französischen Religionskriege und was der Bartholomäusnacht von 1572 folgte



Brutal und blutig ging es 1572 in der mit dem Segen des Papstes und des König gegen die Hugenotten gerichteten Pariser Bartholomäusnacht zu.



Hugenotten lassen ihre Wut an katholischen Geistlichen und Mitbürgern aus, wie Grafiken auf drastische Weise zeigen.



Auf einer Paris-Karte des frühen 17. Jahrhunderts sind vier Könige abgebildet, einer aus dem Haus Valois, drei aus dem Haus Bourbon, das Frankreich bis zur Revolution von 1789 und dann noch einmal im frühen 19. Jahrhundert beherrschte.



Im Beisein des ganzen Hofs unterzeichnet Ludwig XIV. am 18. Oktober 1685 das Edikt von Fontainebleau, mit dem das Edikt von Nantes, das Heinrich IV. erlassen hatte, aufgehoben und der Weg zur weiteren Unterdrückung der Hugenotten frei gemacht wurde.



Wie die Gotteshäuser der Hugenotten zerstört wurden, zeigt der Kupferstich mit der Darstellung ihrer Kirche von Charenton südöstlich von Paris.





Der allerchristlichste König Ludwig XIV. von Frankreich und Navarra wird auf den Medaillen auf die Aufhebung des Edikts von Nantes mit dem ins Deutsche übersetzen Motto "Ein Glaube, ein Gesetz, ein König" und als stolzer Reiter und Verteidiger der katholischen Kirche verherrlicht.



Auf einem Relief im Eingangsbereich der Französischen Kirche ("Dom") auf dem Berliner Gendarmenmarkt sieht man im Stil des 19. Jahrhunderts, wie der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg, das von ihm 1685 unterschriebene Edikt von Potsdam, in der Hand, die aus Frankreich geflohenen Hugenotten freundschaftlich begrüßt.



Das Gemälde zeigt den Besuch eines hugenottischen Juweliers beim Großen Kurfürsten und seiner Gemahlin Dorothea, die sich ein kostbares Diamantenkollier anschauen, rechts das an einer Hausfassade im Holländischen Viertel in Potsdam angebrachte Hugenottenkreuz.



Die Tafel von 1935 an der Fassade an der Fassade der Französischen Kirche auf dem Berliner Gendarmenmarkt ehrt Johannes Calvin, zitiert aus dem Edikt von Potsdam aus dem Jahr 1685 und schildert die Verfolgung der Hugenotten, ihre Glaubensstärke und ihre Aufnahme in Kurbrandenburg. Eine weitere Tafel von 1988 erinnert an das bewegte Schicksal des auch Französischer Dom genannten Gotteshauses, in dem ein Hugenottenmuseum untergebracht ist. (Fotos/Repros: Caspar)

Im 16. und 17. Jahrhundert tobten in Frankreich (und nicht nur dort!) blutige Religionskriege. Gegen die Übermacht der katholischen Kirche und des katholischen Adels lehnten sich in Frankreich die Hugenotten auf. Diese Kirchenrebellen, auch Protestanten genannt, waren schrecklichen Drangsalierungen ausgesetzt. Im Kampf für Glaubensfreiheit wurden tausende ermordet. Mit einem Federstrich und Bekenntnis zur römischen, allein seligmachenden Kirche hätten sie ihr Leben und wirtschaftliches Fundament sichern können. Aber nein, sie taten es nicht und blieben stark im Glauben, wie in dem nach über achtzigjähriger Pause neu aufgelegten Buch von Otto Zoff "Die Hugenotten. Geschichte eines Glaubenskampfes" aus dem Südverlag Konstanz zu lesen ist (399 Seiten, 20 Euro, ISBN 978-3-87800-131-9). Als der Verfasser sein auf Studien in der Berliner Staatsbibliothek und Recherchen in anderen Quellen fußendes Buch 1937 in Wien veröffentlichte, wurde es sofort von den NS-Behörden verboten, denn der Verfasser entsprach nicht dem rassistischen und ideologischen Weltbild der Machthaber in den braunen Hemden, die im März 1937 in Österreich, von der Weltöffentlichkeit ungehindert, einmarschiert waren und dort ihr bluttriefende Regime errichtet hatten.

Das lebendig und gut verständlich geschriebene Buch über den Kampf der katholischen Eliten von den französischen Königen und dem Klerus abwärts gegen die als Ketzer verteufelten Hugenotten avancierte schnell zu einem der meistübersetzten Werke emigrierter Autoren. Es beginnt mit den unklaren Zuständen und den Machtkämpfen im Frankreich des 16. Jahrhunderts, das zum Teil noch von englischen Königen beherrscht war, und an den skandalösen Zuständen am Pariser Hof und endet mit dem Lob für Standhaftigkeit der Hugenotten und ihre Treue zu der einmal gewählten Bahn weg von dem, was der Papst und seine Bischöfe den Gläubigen als allein seligmachend vorschrieben. Otto Zoff zeichnet das bis zum "allerchristlichen" Sonnenkönig Ludwig XIV. reichende Jahrhundert als eine voll von religiösem, stets mit Machtgelüsten und Gewaltausbrüchen verbundenem religiösen Fanatismus geprägte Periode. Kein Verbrechen im Namen der Kirche und Krone war zu blutrünstig, kein Attentat und Giftmord zu perfide, keine Anklage zu konstruiert, kein durch Folter erpresstes Geständnis zu unglaubhaft, als dass es nicht, stets mit frommem Augenaufschlag und Bezug auf die Bibel verbunden, als Waffe gegen die Hugenotten oder, wie man auch sagte, Reformierten eingesetzt worden wäre.

Von Nantes 1598 nach Fontainebleau 1685

Otto Zoff schildert die Verfolgung der französischen Reformierten in der Zeit vor dem Erlass des 1598 von König Heinrich IV. unterzeichneten Edikts von Nantes und zeigt, wie die darin versprochene Religionsfreiheit im Zuge der Gegenreformation langsam unterlaufen und ausgehöhlt wird, bis 1685 von dem um die Gunst des Papstes bemühten "Sonnenkönig" Ludwig XIV. durch das Edikt von Fontainebleau aufgehoben wurde. Die Ermordung des "guten Königs" (Henri Le Bon) Heinrich IV. 1610 bildete eine Zäsur im Kampf der Hugenotten um freie Religionsausübung. Denn systematisch machte die katholische Mehrheitsgesellschaft ihnen mit dem Segen aus Rom das Leben und die Ausübung ihrer Religion schwer. Den als Ketzern abgestempelten Menschen wurden Ämter streitig gemacht und die Existenzgrundlagen entzogen. Otto Zoff stellt fest, dass sich die wenigsten der in Bedrängnis geratenen Hugenotten darauf einließen, einen "Wisch" zu unterzeichnen und damit ihrem Glauben abzuschwören, obwohl sie sich damit viel Leid und Tränen erspart hätten.

Das Buch beginnt mit Heinrich II., genannt König aus Blei, und führt der Reihe nach französische Herrscher und ihren Klüngel vor. Sie waren bis auf Heinrich IV. keine großen Lichter, um mit Bertolt Brecht zu sprechen, sondern stellten das eigene Wohlergehen, die Befriedigung ihrer Süchte und Lüste und den Erwerb von Ländern und Leuten mit Waffengewalt über das Wohl des Landes und seiner Einwohner, darin allerdings vielen Standesgenossen ihrer Zeit gleichend. So kommen die französischen Monarchen einschließlich ihrer sich als Strippenzieherinnen betätigenden Mütter, Gemahlinnen und Mätressen und zahlreicher intriganten Ohrenbläser in dem Buch nicht gut davon. Eine Ausnahme ist Heinrich IV., seines Zeichens König von Navarra und ab 1589 König von Frankreich als Nachfolger von Heinrich III., des 1589 nach einem Mordanschlag kinderlos verstorbenen Vertreters des Hauses Valois.

Heinrich IV. beendete Religionskriege

Bis zur Revolution von 1789 trugen die französischen Herrscher den doppelten Titel als König von Frankreich und Navarra. Das kleine, in den Pyrenäen an der Grenze zu Spanien gelegene Königreich war während der Glaubenskriege des 16. Jahrhunderts ein Hort der Protestanten mit Heinrich von Navarra als ihrem Anführer. Nach dem Aussterben des Hauses Valois entschloss er sich als Oberhaupt der protestantischen, hugenottischen Partei zum Übertritt zum Katholizismus, wobei er "Paris ist eine Messe wert" gesagt haben soll. Damit war gemeint, dass ihm, Heinrich IV., der Empfang der französischen Krone so wichtig ist, dass er diesen spektakulären, von seinen Glaubensgenossen freilich mit Empörung aufgenommenen Schritt vollzieht.

Der neue König von Frankreich und Navarra beendete die unseligen, das Land an den Rand der Erschöpfung bringenden Religionskriege und legte die Grundlagen für sein Aufstieg zu einer europäischen Hegemonialmacht, die in zahllose Kriege verwickelt war. Weil der "Sonnenkönig" Ludwig XIV. die Hand nach der spanischen Krone ausstreckte und seine Truppen Feuer und Schwert Fürstentümer und Städte im Grenzbereich überfielen, war er gefürchtet und verhasst. Aber für viele Fürsten der Barockzeit waren sein Lebensstil, die kostspielige Entfaltung von Prunk, Pomp und Zeremonien sowie der Bau prächtiger Schlösser und wunderbare Parkanlagen, allen voran Versailles, vorbildlich, allerdings für ihre Untertanen, die das alles erwirtschaften mussten, eine kaum zu ertragende Last.

Angst ging am französischen Hof um, Angst vor Mordanschlägen mit Gift und dem Dolch und vor mächtigen Verwandten der Könige, die nach der Krone trachteten und für die über Leichen zu gehen kein Problem war, göttliche Verbote hin oder her. Die Könige von Frankreich, und nicht nur sie,. begegneten ihre Furcht und Unsicherheit durch Kriege, aber auch auf friedlichem Wege durch Heiraten mit Spanien und den Habsburgern in Wien, bei denen ganz vorn Machtzuwachs und Optionen auf fremde Länder standen und Liebe und Zuneigung weit hinten angesiedelt waren.

Leider mangelt es an Illustrationen

All das bildet den Hintergrund des Buches von Otto Zoff, das jetzt als "ästhetisch ansprechende Neuausgabe mit Textschätzen fast vergessener Autoren [vorliegt], die es dem literarischen Gedächtnis zu erhalten gilt", wie es in einer Nachbetrachtung des Südverlags Konstanz heißt. Schade nur, dass das in der Reihe "Südverlag bibliophil" erschienene Buch keine Abbildungen hat. Aus der behandelten Zeit sind zahlreiche drastische, manchmal auch satirische Grafiken und Gemälde, ja sogar Medaillen überliefert. Sie zu beschaffen und in das Buch einzubauen wäre dem Verlag sicher nicht schwer gefallen. Da wir in Zeiten leben, die Bilder braucht und produziert, hätte dieser Service sicher auch den Verlaufserfolg von Otto Zoffs Werk ohne Zweifel gut getan.

Otto Zoff schildert nicht, wie man hätte erwarten können , wie die gewaltsamen, wegen des blutrünstigen Einsatzes der nach den berittenen Dragonern genannten Dragonaden und erpresserischen Versuchen zur Rückkehr in den Schoß der katholischen Kirche ausgesetzten Hugenotten ihre Heimat verließen und sich in der Schweiz und den Niederlanden sowie in der Pfalz, Kurbrandenburg, Mecklenburg und anderen protestantischen Regionen eine neue Existenz aufbauten, sondern das, was dieser Fluchtbewegung voran ging. Wenn man Zoffs "Hugenotten" liest, dann wird sicher man auch die Zeit vor Augen haben, in der das Buch geschrieben wurde. Denn was sich im Frankreich des 16. und 17. Jahrhunderts tat, wiederholte sich auf andere Art in damaligen Diktaturen zu Otto Zoffs Zeiten, vor allem in Nazideutschland.

Dem Naziterror entkam der in 1890 in Prag in einer böhmisch-österreichisch-jüdischen Familie geborene und in Wien aufgewachsene Autor durch Emigration 1941 in die USA. Er hatte Kunst- und Literaturgeschichte studiert und arbeitete als Journalist in Berlin gearbeitet, war als Lektor im Verlag Samuel Fischer und an den Münchener Kammerspiele tätig, um sich 1923 eine damals wie heute unsichere Existenz als freier Schriftsteller, Dramatiker und Regisseur aufzubauen. Ab 1931 lebte Zoff vor allem in Italien und ab 1938 in Südfrankreich, bevor er 1941 mit seiner Familie in die USA emigrieren konnte. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat der Verfasser neben seiner schriftstellerischen und dramaturgischen Arbeit auch als Amerika-Korrespondent des Südwestfunks Baden-Baden sowie als New Yorker Feuilleton-Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gearbeitet.

Historischer Reflex auf aktuelle Gräuel

Otto Zoffs Sprache ist klar und verständlich, die Darlegung der komplizierten Vorgänge während der Glaubenskriege in Frankreich und die Schilderung der Charaktere ist überzeugend. Man kann sich gut in die Zeit vor und nach 1600 in Frankreich hineinversetzen und meint, auch in den 1930er Jahren zu sein, wo von den Nazis politische Gegner und Juden "nach Listen" und aufgrund unmenschlicher Gesetze gejagt, ausgegrenzt, verhaftet und ermordet wurden. Im Nachwort schreibt Manfred Bosch: "Hatten im Werk Zoffs bis dahin Lustspiele, Liebesromane, Biographien und Anthologien mit eher zeitferner Thematik dominiert, lassen sich Die Hugenotten kaum anders lesen denn als historischer Reflex auf die Gräuel und Verfolgungen des eigenen Jahrhunderts." Die politische Wirklichkeit habe in die Arbeit des Verfassers Einzug gehalten und habe sich an seinen kommenden Büchern noch deutlicher ablesen lassen. Zoff bemerkte über sich, ihm sei nicht in den Sinn gekommen, dass er, der Dramatiker, Erzähler und Kunsthistoriker ein "Ausgetriebener sein würde - ...! Es ist unvorstellbar und findet nicht in das Gehirn hinein."

Der zunächst spöttisch gemeinte, dann aber ehrenvoll gebrauchte Name der französischen Reformierten wurde von den "Huguenots", den schweizerischen Eidgenossen, abgeleitet. Otto Zoff beschreibt die Kirchenrebellen ein wenig verklausuliert als Menschen, die als vernünftige Individuen gegen den Anspruch der katholischen Kirche aufbegehrten, "den Einzelnen von jeder Verantwortung zu entlasten, wenn er sich nur an den Empfang der Sakramente hält. [...] Aber mochte die Reformation noch so sehr von Schwert und Scheiterhaufen verfolgt sein - als das zersetzende Element der Gesellschaft, das sie ja auch war -, so gab es doch nicht wenige Einsichtige selbst im katholischen Lager, die ihr die Berechtigung, die zukuftsweisende Gestaltungskraft nicht absprechen wollten." Die auf das Praktische orientierte Lebensweise, ihre besondere Art der Bewältigung von Schwierigkeiten des Lebens und ihre Frömmigkeit jenseits dessen, das bei Katholiken vorgegeben und zelebriert wurde, hat ihnen große Achtung, aber auch Neid und Verdächtigungen eingetragen, die sich in Gewaltexzessen und Vertreibungen Bahn brachen. Otto Zoff verschweigt nicht den von fanatischen Calvinisten im fernen Genf zelebrierte Bildersturm und den Glaubenseifer und Gesinnungsterror der Reformierten, der sich nicht nur gegen Katholiken richtete, sondern auch gegen Menschen, die mit den dort geltenden Vorschriften für Sauberkeit, Ordnung, Moral und Sittenstrenge lax umgingen und auch mal am geheiligten Sonntag zu lachen wagten. Wenn es ganz schlimm kam, hat man Erwachsene und Kinder wegen solcher "Verbrechen" auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

Massenmord in der Bartholomäusnacht

Schauriger Höhepunkt der Auseinandersetzungen zwischen ihnen und den das Land dominierenden Katholiken war die von König Karl IX. insgeheim befohlene Bartholomäusnacht, bekannt auch als Pariser Bluthochzeit. Otto Zoff kann sich in seinem Buch auf zahlreiche Augenzeugenberichte und Klagen der Überlebenden stützen, und so bekommen die Leser ein sehr anschauliches Bild davon, was sich in der Nacht zum 25. August 1572, dem Bartholomäustag, in Paris und anderenorts, von langer Hand vorbereitet, zugetragen hat. Während der Hochzeit Königs Heinrichs III. von Navarra, des späteren französischen Königs Heinrich IV., und Margarete von Valois wurden in Paris und im Lande draußen mehrere tausend Hugenotten mit Feuer, Schwert und Strick ermordet. Unter den Toten war auch Admiral Coligny, ihr militärischer Anführer. Bis heute hält sich das Gerücht, die aus dem florentinischen Herrscherhaus Medici stammende, mit Papst Clemens VII. (Giulio de Medici) verwandte Königinmutter Katharina habe Karl IX., ihren Sohn, zu dem Massaker überredet. Mutter und Sohn taten unwissend und wuschen ihre Hände in Unschuld.

Der neuvermählte Heinrich III. von Navarra, wurde gefangen genommen. Vom König vor die Wahl zwischen Gefangenschaft und Tod beziehungsweise Übertritt zum Katholizismus gestellt, entschied sich der "Hugenottenkönig" Heinrich von Navarra für die Konversion. In den folgenden 39 Monaten seiner Gefangenschaft suchte ein neuer, der nunmehr vierte Hugenottenkrieg das Land heim. Nach dem Tod des kinderlosen Königs Heinrich III., des letzten Vertreters des Hauses Valois, König von Frankreich geworden, machte der nunmehrige Heinrich IV. den blutigen Auseinandersetzungen ein Ende und sicherte 1595 den Hugenotten mit dem Edikt von Nantes Glaubensfreiheit und Gleichberechtigung zu. Unter den Hugenotten gab es ein großes Aufatmen, aber die Zeit der Duldung und Toleranz sollte nicht lange dauern.

Flucht vor den Häschern des Sonnenkönigs

Nach Heinrich IV. haben seine Nachfolger den Druck auf ihre protestantischen Untertanen im Zuge der Gegenreformation immer weiter verstärkt und diese gewaltsam zum Übertritt zur katholischen Kirche gedrängt. Otto Zoff schildert mit bewegenden Worten die brutalen Maßnahmen und das Leid der betroffenen Menschen, die nach und nach ihrer Lebensgrundlagen verlustig gingen. Ludwig XIV. setzte in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts mit den berüchtigten Dragonaden militärische Gewalt ein und hob 1685 in Fontainebleau das schon lange ausgehöhlte Edikt von Nantes auf. Wer jetzt noch zu seinem Glauben hielt, war vogelfrei und unterlag schärfsten Repressionen. Mit brutaler Gewalt wurden die Gotteshäuser der Hugenotten zerstört, darunter die Kirche von Charenton vor den Toren von Paris. Ein katholischer Würdenträger fand für den barbarischen, das halbe Europa empörenden Akt der Gewalt diese lobenden Worte: "Glückliche Ruinen, die der schönste Erfolg sind, den Frankreich jemals gesehen hat. Die Triumphbögen und die zur Ehre des Königs erbauten Statuen werden Frankreich nicht mehr Größe verleihen, als es diese protestantische Ketzerkirche tut, die durch seine Frömmigkeit zerstört wurde."

Die ihrer Lebensgrundlagen beraubten Hugenotten, unter denen wohlhabende Unternehmer, Militärs, Künstler und Gelehrte, aber auch Bauern und Handwerker waren, flohen, und das wäre ein zweites Buch von Otto Zoff wert gewesen, in die Schweiz, nach England, Skandinavien und in einzelne deutsche Fürstentümer, so auch nach Kurbrandenburg. Dessen Kurfürst Friedrich Wilhelm erließ 1685 das Edikt von Potsdam und nahm die Glaubensflüchtlinge (Refugiés) mit offenen Armen auf. Er gewährte ihnen Glaubensfreiheit und vielfältige Privilegien. Die Aufnahme von Glaubensflüchtlingen aus katholischen Ländern wie Frankreich, Böhmen oder dem Erzbistum Salzburg im späten 17. und frühen 18. Jahrhundert durch die Hohenzollern wurde auf vielfältige Weise durch Kupferstiche, Gemälde, Skulpturen und Medaillen und im Hugenottenmuseum in der Französischen Kirche am Berliner Gendarmenmarkt dokumentiert.

Die Aufnahme der Fremden geschah nicht nur aus Mitleid, sondern hatte auch recht handfeste ökonomische Gründe, weil sie, mit vielen Vergünstigungen bedacht, der Wirtschaft auf die Sprünge helfen und auch das kulturelle Niveau verbessern sollten. Zahlreiche Refugiés erhielten einträgliche und einflussreiche Posten am Hof, in der Verwaltung und der Armee, was von den Einheimischen nicht immer gern gesehen wurde. Sie übernahmen von den Zugewanderten feine Sitten und Gebräuche, und auch die eher karge märkische Küche profitierte von ihnen. Viele französische Worte fanden Eingang in die Umgangssprache. Wenn wir heute blümerant (bleu mourant, oder sterbendes Blau), Buddel (bouteille), Budike (boutique), forsch (avec force, mit Kraft), Kinkerlitzchen (quincailleries), Muckefuck (moque faux, falscher Kaffe) oder aus der Lamäng (la main, aus der Hand, routiniert) sagen, dann weiß vielleicht der eine oder andere, dass diese Worte französischen Ursprungs sind.

12. August 2020

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