Potsdamer Veduten

Spaziergänge von Ludwig Sternaux wurden, mit Bildern von Max Baur geschmückt, wieder aufgelegt



Der Fotograf Max Baur hat wunderbare Bilder vom unzerstörten, aber auch vom bombardierten Potsdam hinterlassen. Einige sind in dem Buch von Ludwig Sternaux abgedruckt.



Ludwig Sternaux ging, vom Potsdamer Hauptbahnhof kommend, oft am Stadtschloss und Lustgarten und vom Alten Markt in die Stadt und schrieb, nach Berlin zurück gekehrt, seine Eindrücke in wunderbaren Worten nieder.



In seinem Potsdam-Buch setzt Ludwig Sternaux den Preußenkönigen und anderen Herrschern ein literarisches Denkmal, das heute, ein Jahrhundert und schrecklichen Katastrophen und heftigen Umbrüche später, anders ausfallen würde. Friedrich II., der Große hinter der Garnisonkirche und sein Vater Friedrich Wilhelm I. rechts vor dem Stadtschloss bestimmten im 18. Jahrhundert, was in Potsdam gebaut wird und wie sich die Bewohner zu verhalten hatten.



Die mit vergoldeten Putten geschmückte Fahnentreppe an der Lustgartenseite des Stadtschlosses wird mit Hilfe der Cornelsen Kulturstiftung wiederhergestellt. Den Krieg hat der Portikus des früher als Exerzierhaus genutzten Langen Stalls gleich bei der Garnisonkirche wie durch ein Wunder den Bombenangriff vom 14. April 1945 überstanden. Andere unbeschädigt gebliebene Bauwerke in der Umgebung fielen dem Erneuerungswahn der damaligen Machthaber zum Opfer oder wurden so heruntergewirtschaftet, dass sie nicht mehr bewohnbar waren und abgerissen werden mussten.










Max Baur hat nicht nur das intakte Potsdam abgelichtet - oben Blick auf die Garnisonkirche an der Breiten Straße und eine figurengeschmückte Brücke über den Stadtkanal - , sondern auch die Kriegsruinen wie hier das zerstörte Stadtschloss mit der Garnisonkirche im Hintergrund und rechts mit der berühmten Bittschriftenlinde im Vordergrund. (Fotos: Max Baur)

Über Potsdam, die alte Garnison- und Residenzstadt der Hohenzollern und heutige Landeshauptstadt von Brandenburg, zu schreiben, heißt Eulen nach Athen tragen. Alles scheint schon gesagt und geschrieben zu sein. Es gibt stapelweise Bücher und unzählige Aufsätze und Reportagen über die Havelmetropole, deren Zentrum am 14. April 1945, drei Wochen vor Kriegsende, bei einem britischen Bombenangriff schwer getroffen wurde und danach eine Art Wiedergeburt als "sozialistische Bezirksstadt" erlebte und dabei weitere Verluste an ihre schwer lädierten Bausubstanz aus königlicher Zeit hinnehmen musste. Wer heute durch Potsdam geht, wird mit Freude sehen, dass historische Bauten rund um den Alten Markt und an anderen Orten "aus Ruinen auferstanden" sind oder es werden, um aus der DDR-Hymne von Johannes R. Becher zu zitieren, und wer sich als Einwohner und Tourist umschaut, lernt eine hübsche, von Barock und Klassizismus geprägte Stadt.

Allerdings ist Vorsicht bei Grünanlagen und modernen Lückenbauten geboten, denn hier könnten Häuser aus der Preußenzeit gestanden haben. Der nach 1945 zugeschüttete Stadtkanal ist zum Teil wieder ausgegraben, aber da er an beiden Enden keine Wasserzufuhr hat, kann man ihn nur als steiniges Band mit Gras und Unkraut darin wahrnehmen. Nachdem das vor 75 Jahren zerbombte und einige Jahre später im Rahmen kommunistischer Bilderstürmerei dem Erdboden gleich gemachte Stadtschloss seine Wiedergeburt als Landtagsgebäude und das benachbarte Palais Barberini als Kunstmuseum erlebt hatten, laufen Vorbereitungen für die Wiederherstellung der beim Bombenangriff zerstörten und in DDR-Zeiten beseitigten Barockbauten rund um den Alten Mark. Derweil wächst an der Breiten Straße der Turm der 1968 abgerissenen Garnisonkirche langsam in die Höhe. Die Grablege der Preußenkönige Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. erlangte traurige Berühmtheit durch den "Tag von Potsdam" am 21. März 1933, als Reichspräsident Paul von Hindenburg feierlich die Regierungsgewalt in die Hand des gerade an die Macht gelangten Adolf Hitler mit furchtbaren Folgen legte.

Zeugnisse verflossener Hohenzollernherrlichkeit

Dem Berliner Schriftsteller, Journalisten und Theaterleiter Ludwig Sternaux (1885-1935) blieb es erspart, den Untergang des alten Potsdam beklagen zu müssen. Als er nach dem Ende der Monarchie 1918 durch Potsdams Straßen flanierte, die Schlösser und Gärten besuchte und 1924 das Buch "Potsdam. Ein Buch der Erinnerung" publizierte, war die Hohenzollernherrlichkeit erst wenige Jahre verflossen. Aber all ihre steinernen Zeugnisse standen noch so da, als seien Kaiser Wilhelm II. und seine Gemahlin Auguste Viktoria und ihre Entourage anwesend und gäbe es nicht eine neue, eine republikanische Zeit. Sternaux besucht das leer gefegte Sommerresidenz am Ende des Parks von Sanssouci, das Neue Palais, und schildert, wie das Personal tränenreich von der Kaiserin am 14. November 1918 Abschied nimmt, derweil sich ihr Mann nach Holland abgesetzt hat und von der Heimkehr auf den Thron seiner Väter träumt.

Der Verfasser wandelt durch endlose Flucht von Zimmern mit "abwechselnd in schwerem Prunk und heiterer Grazie und schaut aus dem Kabinett des königlichen Bauherrn, Friedrich II., hinaus auf den Freundschaftstempel, wo seine in Marmor verewigte Schwester versonnen in ein Buch blickt. Er erwähnt die riesige Kuppel des Neuen Palais, auf deren Spitze vergoldete Grazien angeblich mit den Gesichtern der Kaiserin Maria Theresia, der Zarin Katharina II. und der Marquise von Pompadour die preußische Königskrone in die Höhe heben. Sie waren die Gegnerinnen des königlichen Schlossherrn, dessen edle Wohnumwelt im Schloss Sanssouci, im Neuen Palais und an anderen Orten der Verfasser mit treffenden Worten so gut beschreibt, das man sich gleich, mit dem Buch in der Hand, auf den Weg dorthin machen möchte.

Geschichten über "Mark und Metropole"

Das Buch ist zweifellos eine der wichtigsten historischen Beschreibungen der Residenzstadt, und dass es 2020 mit Bildern des bekannten Potsdam-Fotografen Max Baur (1898-1988) als erster Band der Reihe "Mark und Metropole" des Berliner Verlags "Die Mark Brandenburg Verlag für Regional und Zeitgeschichte" neu herausgegeben wurde, darf man als einen großen Glücksfall bezeichnen (244 Seiten, 14 Fotos, 18 Euro, ISBN 978-3-948052-01-0). Dem Verlag verdanken wir unter anderem die reich illustrierte Zeitschrift "Die Mark Brandenburg", die seit vielen Jahren interessante, hervorragend illustrierte Beiträge über Geschichte und Gegenwart, Kultur, Kunst und Wirtschaft sowie Ereignisse und Gestalten der Region rund um die Hauptstadt Berlin publiziert und sich im neuesten Heft 119 mit dem Thema "Rebellion und Revolution" vom Mittelalter bis zur Gegenwart befasst.

Im Nachwort beschreibt Klaus Bellin den Verfasser des Potsdam-Buches als einen Liebenden, der sich an der Stadt nicht sattsehen konnte. "Kein anderer, hingerissen von der Pracht, hat sich so oft, so intensiv und mit so unverhohlener Freude über seine Ausflüge, über Stadt und Park geäußert wie er. Die Zeitgenossen lasen ihn gern. Die Nachwelt vergaß ihn, trotz zweimaliger Versuche, 1961 und 1990, ihm wieder zu einem Publikum zu verhelfen." Man wisse nicht viel über den Sohn eines Verlagsbuchhändlers, den Theaterkritiker und Journalisten hugenottischer Herkunft, den eifrigen Leser der Werke von Goethe und Fontane, fährt Bellin fort. "Fontane ist auch sein Lehrmeister geworden. Von ihm hatte er die Begeisterung für die Mark, das starke Interesse an der Historie, die Besessenheit fürs Detail und auch die leichte Hand, mit der er Gelesenes und Gesehenes, Gestriges und Gegenwärtiges dem Leser dem Leser vermitteln konnte."

Kunstwerk verlangt Herzensecho

Ludwig Sternaux nennt Potsdam ein Kunstwerk, an dem Generationen von Herrschern und die besten deutschen Baumeister unablässig gearbeitet haben, es zu vollenden. Ein solches Kunstwerk verlange Herzensecho, sonst bleibe es stumm. So eingestimmt, machen sich die Leser, quasi vom Autor an die Hand genommen, auf den Weg durch die von ihm so geliebte Stadt und seine Gärten. Wir lernen Stationen aus der wechselvollen Geschichte der kurfürstlichen und königlichen Residenz und besuchen mit ihm die Schlösser Sanssouci, Neues Palais und Charlottenhof sowie weitere Bauten mit den umliegenden Parks, streifen durch den Neuen Garten mit dem als Märchenschloss charakterisierten Marmorpalais und das Schloss Cecilienhof, das zu Sternaux' Zeiten erst wenige Jahre alt war, vom deutschen und preußischen Kronprinzenpaar bewohnt wurde und im Sommer 1945 Schauplatz der Potsdamer Konferenz war, in der Weltgeschichte geschrieben wurde.

Es geht weiter nach Babelsberg, Glienicke und auf die Pfaueninsel, wo Sternaux durch die Säle streift und in Fontanescher Manier manch Erinnerungswertes vermerkt. Jetzt, da der Kaiser verschwunden ist, schreibt er, liegen diese Bauten tot, sind die Marställe verödet, haben die vergoldeten Adler und Kronen ihren Sinn verloren. Und dennoch: "Potsdam lebt, ob es gleich tot ist. Die Residenz nur, die Garnison ist gestorben. Und werden, nach menschlicher Voraussicht, nie wieder, jedenfalls nie wieder so auferstehen, wie sie einst waren."

Heitere Grazie verträumter Gärten

Der Verfasser spricht von sich selbst, wenn er seine Leser in die "Welt Potsdam" einlädt, so der Titel eines Kapitels, in eine Stadt, "die fremd und betörend wie eine Fata Morgana aus Phantasiebereichen mit ihren Türmen und Kuppeln vor den Knabenaugen aufstieg, als erste Wanderung den in engen Großstadtstraßen Aufgewachsenen hierher führte. Und es ist die Stadt, die er immer wieder mit der Seele suchte, wenn er später in der Spiegelung vergangenen Lebens, in der sanften Melodie architektonischer Konturen, in der heiteren Grazie verträumter Gärten und in der Havellandschaft zu finden gedachte... Und immer, immer fand." Intellektuell sei diese Stadt nicht zu begreifen, dem Hirn allein öffneten sich ihre Tore nicht, wer sich ihr kalten Herzens nähert, werde ewig als Fremdling draußen stehen. Das erkläre, zum Teil wenigstens, die vielen falschen Urteile über sie. "Freilich: sie war die Residenz des Kaisers, Potsdam war Garnison, Potsdam war seit den Tagen des ersten Friedrich Wilhelm Kaserne und Drill. Aber es war das nicht und war das nie allein ... so sehr die Uniform auch, für den flüchtigen Blick, das Straßenleben beherrschen mochte."

Vorfreude auf weitere Editionen

Wie Theodor Fontane in seinen "Wanderungen durch die Mark Brandenburg" holt auch Ludwig Sternaux Dinge ans Tageslicht, die in keiner Chronik stehen und architekturgeschichtliche Studien als irrelevant abtun. So erfahren wir, dass Potsdamer Schlösser nach dem Ende der Monarchie vor Übergriffen nicht sicher waren. Die Präzision seiner Schilderungen machen das Buch zu einer einzigartigen, glaubwürdigen Quelle, die es verdient hat, das man sie in verstärkt auch in Studien über die Stadt und ihre Bewohner zitiert. Plünderungen gab es im Fall des Berliner Stadtschlosses ebenso wie dem an der Havel gelegenen Potsdamer Stadtschloss. Dort muss es ein Kommen und Gehen ohne Aufsicht gegeben haben, die Leute nahmen in dem schutzlos sich selbst überlassenen Palast an der Havel Porzellane, Bronzen, Möbel und manch andere Erinnerungstücke mit, die ihnen gerade in die Hände fielen. Da der Potsdamer Magistrat Amtsstuben brauchte, richtete er solche in den hohenzollernschen Räumlichkeiten ein, was diesen nicht gut tat. Trotz alledem, was sich dem Betrachter bietet, ist edelstes friderizianisches Rokoko und Klassizismus späterer Epochen. Leser von heute können sich nur noch in Gedanken an den kostbar dekorierten Räumen erfreuen, denn diese gingen Ende des Krieges unter, und das neue Landtagsgebäude in der Kubatur des alten Stadtschlosses kann diese nur in Gestalt alter Fotografien zeigen.

Einer Notiz am Beginn des Buches ist zu entnehmen, dass der Neuedition der Text von 1924 mit Ausnahme der Kapitel "Und dennoch spukt's in Marquardt" und "Paretz" zugrunde liegt. Der Verlag möchte sie in einem weiteren Sternaux-Band veröffentlichen, mit anderen Worten können wir uns auf eine Fortsetzung dieser schönen und nützlichen Edition freuen.

11. Dezember 2020

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