Ständebuch, Totentanz und Narrenschiff
Literatur mit deftigen Bildern und Reimen wies die Menschen in ihre Schranken und auf den Pfad der Tugend



Der Nürnberger Schuhmacher, Spruchdichter und Meistersinger Hans Sachs war ein beliebter und viel gelesener Autor. Die von dem Schweizer Künstler Jost Amman geschaffenen Holzschnitte schmücken das mit einem Porträt des Nürnberger Goldschmieds Wenzel Jamnitzer (Gomnitzer) und einer langen Vorrede versehene Ständebuch mit Reimen von Hans Sachs, das als Nummer 133 in der Leipziger Insel-Bücherei erschien.

xxxx Das "Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitlerterror" wurde als Tarnschrift verbreitet und sofort verboten



Im Ständebuch wird auf Holzschnitten unter anderem gezeigt, wie aus Lumpen Papier hergestellt, Bleibuchstaben gegossen und Bücher gesetzt und gedruckt werden.





In Jost Ammans Ständebuch wird die von starrem Oben und Unten geprägte Gesellschaft mit Bildern eines Königs und Fürsten beziehungsweise eines armen Bauern und eines Bierbrauers vorgeführt. Aus einem Stand in den anderen zu wechseln und damit bei Ansehen und Einkommen besser zu stellen war nahezu unmöglich.





Dem Ritter nutzt seine schwere Eisenrüstung wenig, Tod durchsticht sie ohne Gnade. Die Schiffsmannschaft wird von hohen Wellen bedrängt und muss entsetzt zusehen, wie der Tod den Mast umknickt und sie untergehen lässt. Auch der bestechliche Richter und der arme Leute abweisende Arzt dem Gevatter Tod nicht entkommen.



Die für die Serie "Alte Bücher neu gelesen" genutzte Ausgabe des "Narrenschiffs" erschien 1964 in Leipzig als Nummer 593 der Insel-Bücherei Nummer 593 und wurde von Manfred Lemmer herausgegeben und kommentiert. Verwendet wurde ein Exemplar von 1494 im Besitz der Sächsischen Landesbibliothek Dresden. Auf den ersten Buchseiten machen sich Narren mit dem Schiff auf den Weg in das sagenhafte Land Narragonien, daneben wischt ein Gelehrter Staub von seinen Büchern, liest sie aber nicht.



Der närrische Schatzsucher oder Schatzfinder wird sein Glück nicht lange genießen können, denn der Teufel lauert ihm schon auf. Daneben versinkt ein Narr im Morast und erkennt den sicheren Weg nebenan nicht.



Selbstverliebtheit und Eitelkeit sowie der Tanz um das Goldene Kalb, das lebensgefährliche Drehen am Glücksrad sowie der Versuch mancher Leute, durch Falschheit und "Beschiss" durchs Leben zu kommen und andere zu übervorteilen sind im "Narrenspiegel" in Bild und Schrift satirisch und bis heute gültig aufs Korn genommene menschliche Gebrechen. (Repros aus den vorgestelten Büchern: Caspar)

Wann Johannes Gutenberg geboren wurde, ist nicht bekannt, traditionell wird das Jahr 1400 angenommen. 1999 wurde Henne Gensfleisch genannt Johannes Gutenberg in den 1999 in den USA zum "Mann des Jahrtausends" gekürt, weil seine beweglichen Lettern wie kaum eine andere Erfindung so exorbitant den Gang der Geschichte und das Leben der Menschen beeinflusst hat. Im Umgang mit Metallstempeln und Gravierwerkzeugen vertraut, besaß Gutenberg gute Voraussetzungen, um den Schritt vom mühsamen Abschreiben von Büchern und Dokumenten zu den beweglichen und wiederverwendbaren Lettern aus einer Mischung von Blei, Zinn und Antimon zu gehen. Die im Winkelhaken Zeile für Zeile aneinander gereihten Buchstaben und Zeichen wurden zu ganzen Seiten zusammengestellt, mit Farbe bestrichen und in Druckapparate gelegt, die Weinpressen nicht unähnlich waren.

Die Buchdruckerkunst breitete sich in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts in Windeseile aus. In vielen Städten, vor allem solchen mit Universitäten, etablierten sich Druckereien und Verlage, die eine Fülle von Drucken in Gestalt der Bibel und anderen religiösen Büchern sowie Geschichten über berühmte Herrscher und ihre Heldentaten hervor brachten. Bücher und Pamphlete aller Art sorgten im frühen 16. Jahrhundert zur Verbreitung der Forderungen des Wittenberger Reformators Martin Luther und der seiner Gegner als Dokumente eines blutigen, mit Erbitterung ausgetragenen Kirchenkampfes. Auf den Markt geworfen wurden auch illustrierte Volks- und religiöse Erbauungsbücher, die die Menschen mit drastischen Holzschnittbildern und kernigen Sprüchen auf den Pfad der Tugend zu führen und zu Gottesfurcht, Ehrlichkeit und Mitmenschlichkeit zu erziehen versuchten. Andere Bücher schildern in Bild und Schrift, wie die feudale Ständegesellschaft vom Papst und Kaiser hinab bis zu Handwerkern und Bauern aufgebaut ist, wie man in den Städten und auf dem Land lebt und arbeitet und was die Leute am Leib und auf dem Kopf tragen. An dieser Stelle werden einige im 16. Jahrhundert gedruckte Bücher, die als populäre Ausgaben der Insel-Bücherei des gleichnamigen Leipziger Verlags vorgestellt.

Vom Papst und Kaiser abwärts

Die nach drei Ständen - Papst und Geistlichkeit, Kaiser und Adel sowie Gelehrte, Bürgersleute, Handwerker und Bauern - gegliederte Gesellschaft ist in Jost Ammans Ständebuch präsent. Es beginnt beim Papst, der auf dem Holzschnitt die dreifache Krone trägt und sich von seiner Leibgarde durch die Stadt tragen lässt, führt über Kaiser, Könige, Fürsten und "Gentelon" genannten Personen mit viel Macht in den Händen, um dann zu Ärzten, Apothekern und andern gelehrten Männern zu kommen, die dem dritten Stand zugerechnet wurden. Manche von ihnen hatten sich, von ganz unten kommend, in höhere Schichten hochgearbeitet. Es schließen sich im Ständebuch verschiedene bürgerliche Handwerksberufe wie Glockengießer, Fenstermacher, Büchsenschmiede, Uhrmacher, Goldschmiede und Münzmeister, um bei Bergleuten, Musikern und Narren zu enden. Das waren Leute, die nur zu dienen und ansonsten nichts zu sagen haben. Zwischendurch kommt ein Bauer vor, dem die Arbeit schwer und sauer wird, der nur Wasser trinkt und grobes Brot essen muss. Dabei waren es doch die Bauern, die Handwerker und das städtische Proletariat, die die Werte und Mittel schufen und "denen da oben" ein sorgenfreies Leben ermöglichten. Im Bauernkrieg von 1525 hatten sie den Fürsten und adligen Gutsbesitzern die Zähne gezeigt - und waren grausam in ihre Schranken zurück auf ihre Plätze ganz unten an der ständischen Gesellschaftspyramide verwiesen worden.

Wie abfällig man über diesen großen "Rest" der Gesellschaft dachte, geht aus einem Zitat hervor, das Herausgeber Manfred Lemmer in der Insel-Ausgabe 133 des Ständebuchs von 1975 verwendet hat. Danach behauptete im 15. Jahrhundert Georges Chastellain, genannt der Abenteurer, seines Zeichens Chronist und Hofhistoriograph der mit den französischen Königen verwandten Herzöge Philipp der Gute und Karl der Kühne von Burgund: "Um nun zu dem dritten Gliede zu kommen, das das Reich vollständig macht, so ist das der Stand der guten Städte, der Kaufleute und Feldarbeiter, ein Stand dem es sich nicht ziemt, eine ebenso lange Darstellung zu geben wie von den anderen: aus dem Grunde, dass er an sich hoher Eigenschaften kaum fähig [ist], weil er dienenden Ranges ist."

Gottgefälliges Leben führt ins Paradies

Erst im Tod sind die Reichen und Schönen, die Armen und Ausgestoßenen, die Einheimischen und die Fremden gleich, und wer ein gottgefälliges Leben geführt hat, erhält einen Platz im Paradies, lautet die Moral zahlreicher mit Leben und Sterben befasster Darstellungen und Bücher aus der damaligen Zeit. In zahlreichen Kirchen sind so genannte Totentänze zu finden, so auch als Wandgemälde in der Berliner Marienkirche. Berlin und die Mark Brandenburg wurden immer wieder von Seuchen heimgesucht, und jedesmal gab es viele Todesopfer. Die Ursache für das Massensterben konnte man nicht erklären. Der "schwarze Tod" wurde mit allgemeiner moralischer Verkommenheit in Verbindung gebracht und als göttliche Strafe gedeutet. Nicht erkannt wurde, dass fehlende Hygiene, das Zusammenleben auf engstem Raum, Mangelernährung und der Gesundheitszustand der Bevölkerung der Ausbreitung der Pest Vorschub leisteten.

Kunsthistoriker deuten den 22 Meter langen und etwa zwei Meter hohen Berliner "Totentanz" aus dem späten 15. Jahrhundert als Antwort auf das Grassieren von Epidemien. Nur noch in Umrissen erhalten, gilt der um 1484, als wieder einmal Berlin von einer Epidemie heimgesucht wurde, gemalte Fries zu den bedeutendsten Kunst- und Sprachdenkmälern der Mark Brandenburg. In der Reformationszeit im frühen 16. Jahrhundert, als ein großer Bildersturm die Kirchen leer fegte, hat man den Fries nicht von der Mauer im Eingangsbereich des mittelalterlichen Gotteshauses abgehackt, sondern nur überstrichen. Erst 1860 haben Restauratoren den Reigen weiß gewandeter "Tode" mit 28 Vertretern geistlicher und weltlicher Stände bei Umbauarbeiten unter der Leitung des Architekten Friedrich August Stüler freigelegt. Offenbar genügte die fragmentarische Überlieferung nicht, und so wurde die einzigartige Bilderfolge recht großzügig und fantasievoll ergänzt, eine Arbeit, die sich heute niemand mehr erlauben würde. Diese "Überrestaurierungen" wurden Mitte der 1950-er Jahre rückgängig gemacht, so dass sich die Wandmalerei heute in authentischem, jedoch fragmentarischem Zustand zeigt.

Fleischloses Wesen mit der Sanduhr

Einen Totentanz der besonderen Art schuf Hans Holbein der Jüngere, zu sehen im Band 221 der Insel-Bücherei, der für diese Betrachtung in der von Emil Waldmann kommentierten Ausgabe von 1958 vorliegt. Der Künstler zeigt den als Gerippe dargestellten und da und dort eine Sanduhr haltenden "Gevatter Tod" als ein fleischloses Wesen, das plötzlich erscheint, gnadenlos in das Leben eingreift und junge und alte Leute zu sich holt. Die Bilderfolge beginnt mit der Erschaffung der Welt und des Lebens auf ihr, zeigt Adam und Eva und ihre von einem Gerippe begleiteten Vertreibung aus dem Paradies und schildert, was den in Kostümen des frühen 16. Jahrhunderts gekleideten "Spitzen" der damaligen Feudalgesellschaft geschieht, um dann bis hinunter zum Ackermann und zum Kleinkind zu kommen, die der Tod zu sich nimmt.

Da wird der stolze Ritter von einem Gerippe mit einem Spießt durchbohrt, eine betende Nonne wirft einen letzten Blick auf ihren Liebhaber, der Edelmann wehrt sich mit erhobenem Schwert gegen sein Ende, der thronende Kaiser und an einer festlichen Tafel speisende König werden mitten ihres luxuriösen Lebens abgerufen, und auch der Papst, der gerade einen vor ihm knienden Fürsten krönt, muss sich in sein Schicksal fügen. Der neben ihm stehende Tod kündigt ihm das nahe Ende gerade an. Auch der Kaufmann wird mitten in seiner Arbeit gestört und von seinen Warenballen fortgerissen. Auch die im trauten Gespräch befindlichen Ratsherren und der Prediger in der Kirche sind vor dem Tod nicht sicher. Ob sie und die anderen Zeitgenossen des Hans Holbein je in den Himmel kommen oder in der Hölle schmoren, lassen die Bilder offen.

Das alles spielt sich nicht in imaginären Räumen ab, sondern in ihrer mal reichen, mal armseligen Lebensumwelt und immer in Kostümen des frühen 16. Jahrhunderts. Ob sie denn privilegiert sind und alle Reichtümer der Welt besitzen oder der Unterschicht angehören und ums tägliche Überleben kämpfen - alle diese Menschen können ihrem Ende nicht entkommen. Die in 1524 und 1525 nach Holbeins Vorlagen von dem in Basel tätigen Formschneider Hans Lützelburger geschaffenen Holzschnitte erschienen erstmalig im Jahre 1530 als Bildersammlung. Sie war so beliebt, dass man schon bald ein Buch daraus gemacht hat.

Buchdruck sorgt für schnelle Verbreitung

Bald nach der Erfindung des Buchdrucks wurden nicht nur Bibeln, sondern auch Einblattdrucke mit und ohne Holzschnitt-Illustrationen sowie so genannte Volksbücher und andere Werke hergestellt und in Umlauf gebracht. In vielen Städten mit und ohne Universitäten entstanden Druckereien und Verlage, mit denen sich ein ganz neuer Wirtschaftszweig entwickelte. Der Religionsstreit vor und nach der Lutherschen Reformation von 1517 und die sich anschließenden sozialen Auseinandersetzungen wurden wesentlich durch schnell auf den Markt geworfene und weit verbreitete Kampfschriften geprägt und angeheizt.

Da viele Bücher ohne Erlaubnis zum Schaden der Verfasser, Verleger und Druckereien, die oft eines zusammen waren, nachgedruckt wurden, mussten sich die Urheber beim Kaiser in Wien und anderen Potentaten gegen Geldzahlung um Schutzbriefe und Privilegien bemühen, die wir heute Copyright nennen würden. Da viele Leute weder lesen noch schreiben konnten, halfen oft drastisch und daher auch allgemein verständlich gestaltete Illustrationen die in deutscher und wegen der internationalen Verständlichkeit lateinisch abgefassten Botschaften frommen und erbaulichen Inhalts zu verstehen. Nach damaligem Brauch wurden nur Seiten oder Bögen gedruckt. Wer diese Rohlinge gebunden haben wollte, musste einen Buchbinder bemühen, der dann auch kostbar in Leder oder Pergament gebundene Folianten herstellte. Diese Arbeit war in der Regel teurer als der eigentliche Buchdruck.

Albrecht Dürer als Illustrator

Große Verbreitung im In- und Ausland erreichte noch vor der Lutherschen Reformation dem "Narrenschiff" des Sebastian Brant (1457-1521) zuteil. Der Professor für Rechtswissenschaft an der Universität Basel beziehungsweise Stadtsyndikus und Kanzler in Straßburg war einer der produktivsten Autoren lateinischer Andachtslyrik und trat auch als Herausgeber von antiken Klassikern und Schriften italienischer Humanisten in Erscheinung. Sein 1494 in Basel veröffentlichtes Werk "Das Narrenschiff" kennzeichnet ihn als herausragenden Vertreter des Humanismus. Die in Basel von Johann Bergmann von Olpe gedruckte Spruchdichtung mit über einhundert von keinem Geringeren als dem jungen Albrecht Dürer und anderen Künstlern geschaffenen Holzschnitten avancierte um 1500 zu dem wohl erfolgreichsten deutschsprachige Volksbuch dieser Art.

Sebastian Brant begleitet zahlreiche Narren beiderlei Geschlechts auf einem Schiff auf dem Weg in das legendäre Land Narragonien. Das erste Bild zeigt Narren, die nach dem Motto "Lasst uns fröhlich sein" auf dem Wasserweg nach Narragonien fahren und sich auf kommende Abenteuer freuen. Der mit einer Narrenkappe behängte Gelehrte daneben wischt Staub von seinen Büchern, die er aber nicht liest. Die Botschaft lautet, dass Bücher nur dann nützlich sind, wenn sie auch fleißig gelesen werden. Die letzten Seiten des "Narrenschiffs" zeigen einen predigenden Engel, in dem man "Frau Weisheit" sieht, wie er das andächtig zuhörende Volk auf den Weg zur Weisheit und Vernunft zu bringen versucht. Das Signet, das Motto "Nut on vrsach" (Nichts ohne Grund) sowie Name und Wappen des Druckers Johann Bergmann von Olpe beschließen das "Narrenschiff". Nicht vergessen wird, dass das Buch 1494 in Basel zur Fastnacht, "die man der Narren Kirchweih nennt", gedruckt wurde.

Verkehrte Welt der Laster und des Unsinns

Überall sind Männer und Frauen mit und ohne Narrenkappen auf dem Kopf und daran hängenden Schellen dabei, einander zu belügen und zu betrügen, zu bestehlen, Unheil anzurichten, dem Geld nachzujagen und manch anderen Unsinn zu tun und damit die christlichen Gebote zu brechen. In dieser verkehrten Welt werden alle möglichen Laster und Verirrungen angeprangert, und sie werden von deftigen Sprüchen immer in sechs Zeilen aufs Korn genommen. Brant fordert immer wieder seine Leser auf, Vernunft walten zu lassen und der Narretei abzuschwören. Ihm geht es darum, der Weisheit, Vernunft und den guten Sitten zum Sieg zu verhelfen. Auf der anderen Seite gibt er in Verbindung mit den Holzschnitten seiner Verachtung für Narrheit, Dummheit, Blindheit, Irrsal, Torheit, Neid und Hass in allen Ständen Ausdruck. Da die in deutscher Sprache verfasste Bild- und Textsatire großen Anklang fand und auch von der gelehrten Welt verstanden werden sollte, hat man sie 1497 ins Lateinische übersetzt und durch Übersetzungen in weitere Sprachen quer durch Europa bekannt gemacht.

Die über einhundert Bilder und Sprüche nehmen typisches Fehlverhalten und menschliche Schwächen aufs Korn. Sie geißeln Gotteslästerei und Aberglauben, Geiz, Habsucht, Missgunst und Undank, Überheblichkeit, Neid und Zorn, ferner Fresslust, Lug und Trug, ferner den Tanz um das Goldene Kalb, Wollust und Ehebruch, Eitelkeit, Schwatzhaftigkeit, Bestechlichkeit und Spielsucht, das Sähen von Zwietracht, aber auch Stolz, Übermut und Spottlust, schlechte Manieren, Überheblichkeit und das vergebliche Graben nach Schätzen, die am End nur Unglück bringen. Angeprangert werden Erbschleicherei, Trägheit und Faulheit, das Borgen und Verleihen von Geld und der Missbrauch von Vertrauen und Zuneigung sowie weitere, das menschliche Zusammenleben erschwerende Auswüchse menschlicher Unvernunft und Narretei.

Herzerfrischender Erziehungsoptimismus

Indem Sebastian Brant seiner Mit- und Nachwelt einen Spiegel vors Gewicht hält, fordert er dazu auf, ein ehrbares und gottesfürchtiges Leben zu führen. Er enthält sich aller Kritik an den herrschenden Verhältnissen und greift weder die Papstkirche noch das kaiserliche Regiment an, gibt aber quasi unter der Hand zu verstehen, dass er deren Treiben missbilligt. Die Treffsicherheit des "Narrenspiegels" muss groß, gewesen sein, denn es gab Raub- und Nachdrucke. Herausgeber Manfred Lemmer stellt im Nachwort des Insel-Buches fest, Sebastian Brant habe eine mildere Sicht auf menschlichere Unzulänglichkeiten gehabt. Er brandmarkt sie nicht in scharfem Ton als Laster, er huldigt auch nicht einer düsteren Schreckensmoral mit Ausmalung ewiger Höllenstrafen, sondern nennt die moralischen Schwächen Torheiten; er beurteilt sie als Folgemangelnder Verstandesbildung." Brant sei von einem herzerfrischenden Erziehungsoptimismus durchdrungen gewesen, er habe daran geglaubt, dass die Menschen die Narrheit überwinden können, "sofern sie belehrt und zum Gebrauch ihrer Vernunft geführt werden. Verderblich ist ihm weniger das Narrsein als das Narrbleiben, das heißt die hartnäckige Verstocktheit des Menschen und sein Beharren bei der Narrheit. Daher predigt Brant Selbsterkenntnis als ersten Schritt zur Weisheit."

Manche Menschen zeigen auch heute leider geringe Neigung, aus eigenen Fehlern zu lernen, und so sind die Warnungen im "Narrensschiff" aktuell wie nie. Wir wissen aus der Vergangenheit und sehen es in der Gegenwart, dass gegen Dummheit, Größenwahn und Selbstüberschätzung kein Kraut gewachsen ist. Wir haben allen Grund, uns mit allen Mitteln unseres demokratischen Rechtsstaats gegen Machtmissbrauch, Lug und Betrug zur Wehr zu setzen, und sollten im Kampf dagegen nicht verzagen.

21. Oktober 2020

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