Die Welt von gestern
Stefan Zweig schlägt einen Bogen vom Ende der Habsburgerherrschaft bis zum Nationalsozialismus und dem Zweiten Weltkrieg



Dem aus einer reichen Wiener Fabrikantenfamilie stammenden Stefan Zweig standen als Theater- und Romanautor alle Wege offen. Er litt unendlich an der erzwungenen Emigration nach dem Einmarsch der Nationalsozialisten 1938 in seine österreichische Heimat. In tiefer Verzweiflung über den von den Nazis vom Zaun gebrochenen und deren militärische Anfangserfolge nahmen sich Stefan und seine zweite Frau Charlotte am 23. Februar 1942 im brasilianischen Petropolis das Leben. Auf dem Stolperstein vor Zweigs Wohnhaus in Salzburg ist dieses Ende als Flucht in den Tod beschrieben.



Kaiser Franz Joseph regierte die Donaumonarchie von 1848 bis 1916, sein Bronzedenkmal steht im Wiener Burgarten. Von der Hofburg aus regiert, galt das habsburgische Riesenreich als ewig und unzerstörbar, aber unter der glänzenden Oberfläche braute sich viel Zündstoff zusammen, der 1914 in die Luft flog. Das auf dem Judenplatz stehende Denkmal für die von den Nationalsozialisten ermordeten Wiener Juden besteht nicht zufällig aus Büchern in Regalen, denn Bildung und Gelehrsamkeit waren und sind bei Juden ganz oben angesiedelt. Stefan Zweig schildert in seinem Erinnerungsbuch ausführlich die Gründe, dass man sich in dieser Gruppe mit großer Hingabe umfassendes Wissen angeeignet und angewendet hat.



Mit einem solchen Hundertkronenstück aus Gold, hier die Ausgabe von 1908 zum sechzigjährigen Regierungsjubiläum von Kaiser Franz Joseph, kam man schon sehr weit, hingegen war der Tausenkronenschein von 1922 war so gut wie wertlos.





Was während der Inflationszeit zahlreichen Druckereien hergestellt und in großen Körben von dort und den Ausgabestellen abgeholt wurde, hat man nach deren Ende bergeweise geschreddert, eingestampft oder verbrannt. Viele Menschen verloren in dieser Zeit ihr Vermögen, ihr Ansehen und ihr Selbstwertgefühl, und manche nahmen sich unter dem Druck der schrecklichen Verhältnisse das Leben.



Die "Unterirdische Bibliothek" auf dem Berliner Bebeplatz, dem früheren Opernplatz, erinnert an die nationalsozialistische Bücherverbrennung am 10. Mai 1933, bei der auch Werke des den Nazis so verhassten Stefan Zweig Opfer der Flammen wurden.



"Solche dramatisch geballten, solche schicksalsträchtigen Stunden, in denen eine zeitüberdauernde Entscheidung auf ein einziges Datum, eine einzige Stunde und oft nur eine Minute zusammengedrängt ist, sind selten im Leben eines Einzelnen und selten im Laufe der Geschichte. […] Ich habe sie so genannt, weil sie leuchtend und unwandelbar wie Sterne die Nacht der Vergänglichkeit überglänzen", schrieb Stefan Zweig im Vorwort für seine "Sternstunden der Menschheit" und schilderte das unter anderem am Beispiel der Entstehung der Marseillaise, die in der Nacht auf den 26. April 1792 von Claude Joseph Rouget de Lisle in der Nacht auf den 26. April 1792 während der Kriegserklärung an Österreich im elsässischen Straßburg verfasst wurde und zum Kampfeslied und zur Hymne der Franzosen avancierte. (Fotos/Repros: Caspar)

Der österreichische Schriftsteller Stefan Zweig (1881-1942) hat in seiner Autobiographie "Die Welt von gestern" aus eigenem Erleben die Zustände im Habsburgerreich vor, während und nach dem Ersten Weltkrieg bis hin zur Einverleibung seines Heimatlandes 1938 in das "Großdeutsche Reich" und die ersten beiden Jahren des Zweiten Weltkriegs geschildert. Mit Kriegsbeginn am 1. September 1939 im englischen Exil zum "feindlichen Ausländer" erklärt, litt der schon bald von dort mit seiner Frau Charlotte (Lotte) weiter nach Brasilien gereiste Autor massiv unter dem Verlust seiner Heimat und seiner Leser. In besseren Tagen hatten sie ihm zugejubelt und ihm jedes seiner Bücher förmlich aus den Händen gerissen. Dann aber wurde der Schriftsteller, der sich selber "Jude aus Zufall" bezeichnete, 1933 von den Nationalsozialisten auf den Index gesetzt, und wer noch seine Bücher besaß, musste sie verstecken und im Geheimen lesen. Mit seiner Frau nahm sich Stefan Zweig am 22. Februar 1942 im brasilianischen Exil das Leben.

Sein Erinnerungsbuch erschien noch im gleichen Jahr posthum und liegt dieser Betrachtung in einer Ausgabe des Stockholmer Verlags Bermann-Fischer aus dem Jahr 1946 vor. Es schlägt einen Bogen von der freud- und geistlosen, durch kasernenhaften Drill und sinnentleertes Pauken geprägten Schulzeit des aus einer wohlhabenden Fabrikantenfamilie stammenden Stefan Zweig über die Schilderung des "leichten Lebens" der wohlhabenden Wiener Gesellschaft mit Musik, Theater, Tanz, gutem Essen und schönen Behausungen in edler Wohngegend bis hin zu seinen ersten Übungen als Dichter und dem Studium in Berlin, wo er in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg die Crème der damaligen Literatenzunft kennenlernt und sich in ihr wohlfühlt wie ein Fisch im Wasser. Zweigs Rückblick auf das kaiserliche und nach 1918 das republikanische Österreich und überhaupt seine Zeit vor und nach dem Ersten Weltkrieg endet mit der Überfahrt in die Neue Welt. Die "Erinnerungen eines Europäers", so der Untertitel, entstand im Exil ohne Zuhilfenahme irgendwelcher Aufzeichnungen nur mit dem, was dem Autor in Erinnerung geblieben war und was ihm wichtig erschien. "Nur was sich selbst bewahren will, hat ein Anrecht, für andere bewahrt zu werden. So sprecht und wählt, ihr Erinnerungen, statt meiner, und gebt wenigstens einen Spiegelschein meines Lebens, ehe es ins Dunkel sinkt", schreibt Zweig am Ende seines Vorworts.

Nach dem Attentat von Sarajewo war alles anders

Alles ändert sich nach dem tödlichen Attentat serbischer Nationalisten am 28. Juni 1914 in Sarajewo auf den ungeliebten Thronfolger Franz Ferdinand und seine Gemahlin, dem der bis dahin schlimmste aller Kriege und das schmähliche Ende der Habsburgerherrschaft folgten. Sie war unendlich lange durch den 1916 verstorbenen Kaiser Franz Joseph geprägt und ermöglichte dem Geburts- und Geldadel, aber auch den durch ihrer Hände Arbeit und glückliche Umstände zu Wohlhabenheit gelangten Juden und Nichtjuden ein bequemes und kulturvolles Leben. Dass es in Untergrund des Vielvölkerstaat gewaltig brodelte und das Leben für viele Münzen dort in Armut und Abhängigkeit unerträglich war, scheint Zweig nicht wahrgenommen zu haben, zumindest kommen diese Probleme in seinen Betrachtungen über die "Welt von gestern" nur am Rande vor. Die alte Gemütlichkeit, Lautlosigkeit und Geborgenheit war in seiner Jugendzeit nur scheinbarer Art, wie Zweig schreibt. "Heute, da das große Gewitter sie längst zerschmettert hat, wissen wir, dass jene Welt der Sicherheit ein Traumschloss gewesen. Aber doch, meine Eltern haben darin gewohnt wie in einem steinernen Haus. Kein einzigesmal ist ein Sturm oder eine scharfe Zugluft in ihre warme, behagliche Existenz eingebrochen."

Armut und Existenzsorgen waren in der allmählich reich, sogar sehr reich gewordenen Familie Zweig unbekannt, und so konnte sich der junge Mann, endlich der Schulzeit entronnen, ganz seinen künstlerischen Neigungen hingeben, weite Reisen unternehmen und sich dabei fortbilden und im Laufe der Zeit sogar eine gut bestückte, in seinen Erinnerungen auf einigen Seiten liebevoll beschriebene Autographensammlung anlegen. Dieses von Zweig farbig und facettenreich geschilderte "Jahrhundert der gesicherten Werte" ging in einem vom Deutschen Reich mit der k. und k. Donaumonarchie und seinen Verbündeten ausgehenden Krieg krachend unter. Ihr folgten stürmische Jahre, in denen sich der Verfasser zu einem bekannten und gern gelesenen Theater- und Romanautor entwickelte.

Sternstunden der Menschheit

Nichts konnte seine Höhenflüge aufhalten. Mit seinen Romanbiographien über die 1793 hingerichtete Königin Marie Antoinette von Frankreich und den berüchtigten Polizeiminister Joseph Fouché sowie seine Schachnovelle, die Novelle "Der Amokläufer" und viele andere Romane und Essays sowie die "Sternstunden der Menschheit. Fünf historische Miniaturen" von 1927 (Insel Bücherei 165) kamen in ihrer Zeit gut an und werden auch heute gelesen. In seiner Biographie aus dem Jahr 1932 nannte er die leichtlebige, das Geld ihrer Untertanen zum Fenster hinauswerfenden und aus Österreich stammende Mari Antoinette eine Persönlichkeit "mittleren Charakters". "Erst im Unglück weiß man wahrhaft, wer man ist", zitiert Zweig die aus höchsten Höhen in die tiefste Tiefe gestürzte Monarchin und fügt hinzu, erst in der letzten, allerletzten Lebensstunde habe die Königin endlich tragödisches Maß erreicht.

Ausführlich schildert Zweig, wie die Republik Österreich eine Geldentwertung nie gekannten Ausmaßes durchlitt. Angesichts der immer wertloser werdenden Krone ging man zum Tauschhandel über. "Ware für Ware; nachdem die Menschheit mit dem Schützengraben schon glücklich zur Höhlenzeit zurückgeschritten war, löste sie auch die tausendjährige Konvention des Geldes und kehrte zum primitiven Tauschwesen zurück", heißt es in "Die Welt von gestern". Von Woche zu Woche seien das Chaos größer und die Bevölkerung aufgeregter geworden. Von Tag zu Tag sei die Entwertung des Geldes fühlbarer geworden. "Die Nachbarstaaten hatten die alten österreichisch-ungarischen Noten durch eigene ersetzt und dem winzigen Österreich mehr oder minder die Hauptlast der alten ,Krone' zur Einlösung zugeworfen. Als erstes Zeichen des Misstrauens in der Bevölkerung verschwand das Hartgeld, denn ein Stückchen Kupfer oder Nickel stellte immerhin ,Substanz' dar gegenüber dem bloß bedruckten Papier. Der Staat trieb zwar die Notenpresse zur Höchstleistung an, um möglichst viel solchen künstlichen Geldes nach Mephistopheles' Rezept zu schaffen, kam aber der Inflation nicht mehr nach; so begann jede Stadt, jedes Städtchen und schließlich jedes Dorf sich selbst ,Notgeld' zu drucken, das im Nachbardorf schon wieder zurückgewiesen und später in richtiger Erkenntnis seines Unwerts meist einfach weggeworfen wurde."

Substanz besser als bedrucktes Papier

Bald habe niemand mehr gewusst, berichtet Zweig weiter, was etwas kostete, die Preise seien willkürlich gesprungen, und es wurde alles gekauft, was irgendwie Geld einbrachte. "Selbst ein Goldfisch oder ein altes Teleskop war immerhin ,Substanz', und jeder wollte Substanz statt Papier. Am groteskesten entwickelte sich das Missverhältnis bei den Mieten, wo die Regierung zum Schutz der Mieter (welche die breite Masse darstellten) und zum Schaden der Hausbesitzer jede Steigerung untersagte. Bald kostete in Österreich eine mittelgroße Wohnung für das ganze Jahr ihren Mieter weniger als ein einziges Mittagessen; ganz Österreich hat eigentlich fünf oder zehn Jahre (denn auch nachher wurde eine Kündigung untersagt) mehr oder minder umsonst gewohnt." Wer vierzig Jahre gespart und überdies sein Geld patriotisch in Kriegsanleihen angelegt hatte, wurde zum Bettler, und wer Schulden besaß, war ihrer ledig. Wer sich korrekt an die Lebensmittelverteilung gehalten habe, verhungerte, und wer sie frech überschritt, konnte sich satt essen. "Es gab kein Maß, keinen Wert innerhalb dieses Zerfließens und Verdampfens des Geldes; es gab keine Tugend als die einzige: geschickt, geschmeidig, bedenkenlos zu sein und dem jagenden Ross auf den Rücken zu springen, statt sich von ihm zertrampeln zu lassen."

Die Inflation nach dem Ersten Weltkrieg machte in Deutschland und Österreich Millionen Menschen zu Bettlern, denn mit den Bergen gedruckten Papiergeldes konnte man immer weniger anfangen. Während Banknoten mit immer höheren Zahlen ausgegeben wurden, schritt die Verelendung der Bevölkerung voran und erfasste langsam auch die Mittelschichten. Aus dem Geldverkehr verschwunden war das gute alte Gold- und Silbergeld, statt dessen prägten und druckten Staat, Kommunen und Unternehmen massenhaft Notgeldscheine und Ersatzmünzen, um den Bedarf an Klein- und Wechselgeld zu befriedigen. Für Lebensmittel, Kleidung und andere Dinge des täglichen Bedarfs musste man weitaus mehr bezahlen als in der Vorkriegszeit, bekam aber nicht in gleichem Maße Lohn, Gehalt und Renten. Wer es sich leisten konnte, machte Sachwerte zu ausländischen Devisen und raffte Grundstücke als eine Art Betongold, wie wir heute sagen würden, zusammen. Noch nie hatte man auf österreichischen Banknoten solche Zahlen gelesen - erst 5000, dann 50 000, 100 000, 500 000 Kronen und höhere Werte.

Auf dem Höhepunkt der Inflation waren neun Billionen Papier-Kronen im Umlauf. Die sorgfältig mit dem Bildnis der Austria als Symbolfigur des Landes, dem neuen einköpfigen Adler der Republik und weiteren Motiven geschmückten Scheine täuschen ihren hohen Wert nur vor. Doch wenn man einen Laden mit einem ganzen Bündel betrat, hatte man am Ende nur wenig Reales in der Hand. Waschkorbweise wurde das Papiergeld von der Druckerei zu den Ausgabestellen getragen, da hatte es in der Zeit dazwischen schon an Wert verloren. Derweil konnte sich der Staat auf billige Weise seiner Schulden etwa in Form von Kriegsanleihen entledigen. Wer clever war und vor nichts Ehrfurcht hatte, verdiente an der Währungskatastrophe.

Wettersturz der Werte

Stefan Zweig beschreibt in seinem Lebensbericht mit Zorn und Ekel, wie reich gewordene Aufsteiger in mehr oder weniger vornehmen Clubs und Nachtlokalen feiern und prassen und sich in teuren Autos mit Halbweltdamen durch Wien und andere Städte kutschieren lassen. Derweil musste sich der große Rest der Bevölkerung in die lange Schlange der Sozialhilfeempfänger einreihen und den Gürtel so eng schnallen, bis es nicht mehr ging. Das Geld, das man heute bekam, war schon morgen wertlos. Nie galt das geflügelte Wort "Zeit ist Geld" so sehr wie in jenen Jahren. Kein Wunder, dass in den Inflationsjahren die Selbstmordrate rasant anstieg. Zweig beurteilte den "Hexensabbat der Irrsinnszahlen" mit diesen Worten: "Nichts hat das deutsche Volk so erbittert, so hasswütig, so hitlerreif gemacht wie die Inflation. Denn der Krieg, so mörderisch er gewesen, er hatte immerhin Stunden des Jubels geschenkt mit Glockenläuten und Siegesfanfaren" und meinte damit die Verhältnisse sowohl im Deutschen Reich als auch in seiner österreichischen Heimat. Durch ein Gesetz vom 20. Dezember 1924 wurde die Währung mit Wirkung vom 1. März 1925 von der wertlos gewordene Kronenwährung aus Schilling zu 100 Groschen umgestellt. Möglich wurde die Reform durch Gewährung ausländischer Kredite. Jetzt bekam man für 10 000 Kronen einen Schilling. Während die Österreicher im "Wettersturz der Werte" jedes Maß verloren, wie Zweig schreibt, fischten manche Ausländer im Trüben, denn während der Inflation besaß nur ausländisches Geld noch Ansehen und Stabilität. "Schweizer Franken, amerikanische Dollars, und stattliche Massen von Ausländern nützten die Konjunktur aus, um sich an dem zuckenden Kadaver der österreichischen Krone anzufressen. Österreich wurde ,entdeckt' und erlebte eine verhängnisvolle ,Fremdensaison'. Alle Hotels in Wien waren von diesen Aasgeiern überfüllt; sie kauften alles, von der Zahnbürste bis zum Landgut, sie räumten die Sammlungen von Privaten und die Antiquitätengeschäfte aus, ehe die Besitzer in ihrer Bedrängnis merkten, wie sehr sie beraubt und bestohlen wurden. Kleine Hotelportiers aus der Schweiz, Stenotypistinnen aus Holland wohnten in den Fürstenappartements der Ringstraßenhotels [in Wien, H. C.]. So unglaublich das Faktum erscheint, ich kann es als Zeuge bekräftigen, dass das berühmte Luxushotel de l' Europe in Salzburg für längere Zeit ganz an englische Arbeitslose vermietet war, die dank der reichlichen englischen Arbeitslosenunterstützung hier billiger lebten als in ihren Slums zu Hause".

Die unsichtbare Sammlung

Die Verarmung von Menschen durch die Inflation hat Stefan Zweig schon vor "Die Welt von gestern" beschäftigt. In seiner Erzählung von 1927 "Die unsichtbare Sammlung" schildert der begeisterte Sammler von Autographen berühmter Personen, wie sich nach dem Ersten Weltkrieg eine vom Hunger bedrohte Familie von ihrer bedeutenden Grafikkollektion trennen muss, ohne dass es der blinde Besitzer bemerkt. Blanke Not lässt seiner Frau und Tochter keine Wahl. Der aus Berlin zu dem sonderbaren Mann gereiste Erzähler ist ein bekannter Kunsthändler namens K. Bei ihm hatte der "hinter Dresden" wohnende Grafikfreund bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 immer fleißig gekauft und so die schönsten Stiche von Rembrandt, Dürer und anderen Künstlern zusammentragen. K. beklagt sich aus eigenem Erleben über den Kunsthandel, "seit sich der Wert des Geldes wie Gas verflüchtigt: die neuen Reichen haben plötzlich ihr Herz entdeckt für gotische Madonnen und Inkunabeln und alte Stiche und Bilder. [...] Am liebsten kauften sie einem noch den Manschettenknopf am Ärmel weg und die Lampe vom Schreibtisch. [...] Gegen die penetrante Eindringlichkeit dieser plötzlich Kaufwütigen hilft kein Widerstand. Und so war ich über Nacht wieder einmal ganz ausgepowert und hätte am liebsten die Rollläden heruntergelassen, so schämte ich mich, in unserem alten Geschäft, das schon mein Vater vom Großvater übernommen, nun noch erbärmlichen Schund herumkrümeln zu sehen, den früher kein Straßentrödler im Norden sich auf den Karren gelegt hätte".

In der Wohnung des Sammlers erfährt K. zu seinem Erstaunen, dass von den erwarteten Grafikschätzen nichts mehr vorhanden ist. Frau und Tochter bitten den Fremden inständig, den Alten im Glauben zu lassen, er besitze die Stiche immer noch. K. spielt mit und erfährt, dass der alte Herr den Verkauf nie erlaubt hätte. "Er ahnt nicht, wie schwer es ist, im Schleichhandel das bisschen Nahrung aufzutreiben, er weiß auch nicht, dass wir den Krieg verloren haben und dass Elsass und Lothringen abgetreten sind, wir lesen ihm aus der Zeitung alle diese Dinge nicht mehr vor, damit er sich nicht erregt. Es war ein sehr kostbares Stück, das wir verkauften, eine Rembrandt-Radierung. Der Händler bot uns viele, viele tausend Mark, und wir hofften, damit auf Jahre versorgt zu sein. Aber Sie wissen ja, wie das Geld einschmilzt", raunt die Tochter dem Besucher aus Berlin zu und berichtet, wie der auf die Bank gebrachte Erlös schon nach zwei Monaten wertlos war. So wurde noch ein Stück und noch ein weiteres verkauft. Bezahlt wurde immer so spät, dass das Geld entwertet war. Dann habe man es bei Auktionen versucht, aber auch da sei man betrogen worden. "Bis die Millionen zu uns kamen, waren sie immer schon wertloses Papier. So ist allmählich das Beste seiner Sammlung bis auf ein paar gute Stücke weggewandert, nur um das nackte, kärglichste Leben zu fristen, und Vater ahnt nichts davon".

K. behält die Worte der Tochter bei sich und bereitet dem alten Mann eine große Freude, indem er die mit Nachdrucken und anderen wertlosen Blättern gefüllten Grafikmappen bewundernd besichtigt. "Das war mir eine wirkliche Wohltat, endlich, endlich, endlich einmal wieder mit einem Kenner meine geliebten Blätter durchsehen zu können", sagt der nichtsahnende Alte zu K. und kündigt an, eines Tages ihm allein die Auktion des Bilderschatzes übertragen zu wollen. "Versprechen Sie mir nur, einen schönen Katalog zu machen: er soll mein Grabstein sein, ich brauche keinen anderen". Beim Abschied winkt K. dem Blinden zu "da oben im Fenster, hoch schwebend über all den mürrischen gehetzten, geschäftigen Menschen der Straße, sanft aufgehoben aus unserer wirklichen widerlichen Welt von der weißen Wolke des gütigen Wahns. Und ich musste wieder an die alten wahren Worte denken - ich glaube, Goethe hat es gesagt -: ,Sammler sind glückliche Menschen'". Die Episode aus der deutschen Inflation, wie der Untertitel von Zweigs Erzählung in dem Band "Kleine Chronik" (Insel-Bücherei Nr. 408) lautet, zu lesen, bringt Gewinn und regt zum Nachdenken an. Die Ereignisse von damals sind zum Glück weit weg von uns und sollten es auch bleiben.

Querelen mit "Die schweigsame Frau"

In "Die Welt von gestern" hat Stefan Zweig unter anderem die Querelen rund um die Oper von Richard Strauss "Die schweigsame Frau" geschildert. Die Nazis schätzten den Komponisten, er war das letzte noch lebende, dazu weltweit anerkannte musikalische Aushängeschild des "Dritten Reichs". Hitler und seine Kumpanen delektierten sich an seiner Musik. Da Strauss aber den aus Österreich nach England emigrierten Zweig gebeten hatte, das Libretto für die Oper zu schreiben, bekam er Ärger mit Reichspropagandaminister Joseph Goebbels und der von ihm kontrollierten Reichsmusikkammer. Man missbilligte, dass der "Jude Zweig" den Text geschrieben hatte, und dies zur vollen Zufriedenheit des Komponisten des "Rosenkavalier", der "Salome", der "Elektra" und vieler anderer Werke. Strauss war den Nazis ungeachtet der Querelen um "Die schweigsame Frau" lieb und wert. Er drückte mit seiner ganzen Autorität die Aufführung der Oper durch und ließ nicht zu, dass man Zweigs Namen von Plakaten und Theaterzetteln streicht und die Herkunft des Textes als von Benjamin Jonson stammt, der neben William Shakespeare als der bedeutendste englische Dramatiker der Renaissance gilt.

Das alles nutzte nichts, beide Künstler hatten nicht ihre Rechnung mit den Nazis gemacht. Zwar war alles für die von Goebbels als kulturpolitischer Paukenschlag und Demonstration für das "neue weltoffene Deutschland" geplante Premiere eingerichtet. Als Richard Strauss aber darauf bestand, dass statt "Oper nach Ben Jonson" der Name von Stefan Zweig publiziert wird, den Goebbels einen "unangenehm talentierten Juden" nannte und der von den Nazis als Salonbolschewist verunglimpft und totgeschwiegen wurde, gab es nach der Premiere nur noch eine zweite Aufführung und dann keine mehr. Bei der Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 in Berlin und danach an anderen Orten landeten auch Schriften von Stefan Zweig im Feuer. Seine Werke standen auf Schwarzen Listen, wurden aus Buchhandlungen und Leihbüchereien entfernt.

Richard Strauss tritt zurück

Zur Premiere der Oper "Die schweigsame Frau" notierte Zweig in seinem Erinnerungsbuch: "Ich wohnte selbstverständlich der Aufführung nicht bei, da ich wusste, dass der Zuschauerraum von braunen Uniformen strotzen würde und sogar Hitler selbst zu einer der Aufführungen erwartet wurde." Zur Ehre der Kritiker stellte Zweig in seinem Erinnerungsbuch fest, neun Zehntel von ihnen hätten begeistert die Gelegenheit genutzt, noch einmal und zum letzten Mal ihren inneren Widerstand gegen den Rassenstandpunkt zeigen zu dürfen, indem sie die denkbar freundlichsten Worte über sein Libretto sagten. Weitere Vorstellungen an deutschen Bühnen wurden für die kommende Spielzeit angekündigt. Doch plötzlich, nach der zweiten Vorstellung, kam ein Blitz aus dem hohen Himmel, schreibt Zweig weiter. "Alles wurde abgesagt, die Oper über Nacht für Dresden und ganz Deutschland verboten. Und noch mehr: Man las erstaunt, daß Richard Strauß seine Demission als Präsident der Reichskulturkammer eingereicht habe."

Richard Strauss war so unvorsichtig, seinen Librettisten nach der "Schweigsamen Frau" zu bitten, doch bald an den Text einer neuen Oper zu gehen. In dem Brief hatte sich der weltberühmte Komponist allzu freimütig über seine politische Einstellung geäußert, doch das Schreiben wurde von der Gestapo abgefangen. Als Geheimpolizisten den Komponisten mit seinen kritischen Bemerkungen konfrontierten, reichte dieser seine Demission als Präsident der Reichsmusikkammer ein. Dieser Rücktritt hat jedoch seinem exklusiven Stand im Kulturleben des Nazistaates nicht ernsthaft geschadet. In Deutschland verboten, wurde die Oper wurde im Ausland und sogar an der Mailänder Scala gespielt, also in Mussolinis Italien, wo man weniger rassistisch eingestellt war. "Das deutsche Volk aber hat nie mehr einen Ton aus dieser teilweise bezaubernden Altersoper seines größten lebenden Musikers hören dürfen", schreibt Zweig und fährt in seinem Buch mit der Schilderung bedrückender Vorgänge vor seiner Haustür an der deutsch-österreichischen Grenze fort. Noch vor der Annexion Österreichs durch den Hitlerstaat dominierten Nazis in braunen Uniformen in Salzburg und Umgebung das Straßenbild. Die Vorboten ihrer "Machtergreifung" auch in der Alpenrepublik waren nicht zu übersehen.

Österreich, England, Brasilien

Dass zahlreiche Österreicher damals mit wehenden Fahnen zu den Nationalsozialisten überliefen und sich bei der Verfolgung der jüdischen Mitbürger und der Gleichschaltung des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens überboten, gehört zu den beschämenden Ereignissen der neueren Landesgeschichte. Zweig hat in seinem Erinnerungsbuch auch diese schlimmen Vorkommnisse eindrücklich geschildert. Er verließ Salzburg und ging über Paris nach England, zu dem er eigentlich keine Beziehung hatte. Geplant war eine längere Auslandsreise, "um all den kleinen Spannungen zu entgehen. Doch ich ahnte nicht, dass es schon eine Art Abschied war, als ich im Oktober 1933 mein schönes Haus verließ."

Der Schriftsteller lebte bis kurz nach Beginn des Zweiten Weltkriegs in England und wurde dort wie andere Emigranten von einem zum anderen Tag zum feindlichen Ausländer abgestempelt. In seinem Rückblick schildert er, wie die Exilanten in entwürdigender Weise um Pässe und Formulare betteln mussten, wie sich bisherige Freunde von ihnen abwandten und sie Gefahr liefen, als Spione in ein Internierungslager gesteckt zu werden. Über die Stationen New York, Argentinien und Paraguay gelangte Zweig 1940 nach Brasilien, in ein Land, für das er eine permanente Einreiseerlaubnis besaß. Trotz der ihm dort entgegengebrachten Gastfreundschaft litt Stefan Zweig an seiner Entwurzelung, ihm fiel es schwer, sich in die neue Kultur einzuleben. Er verzweifelt er an den Erfolgen Nazideutschlands zu Beginn des Zweiten Weltkrieg und dass es ihm nicht möglich ist, Freunden zu helfen, die in Europa zurück bleiben mussten. Sein Abschiedsbrief erklärt, warum er seinem Leben ein Ende setzte: "Ehe ich aus freiem Willen und mit klaren Sinnen aus dem Leben scheide, drängt es mich eine letzte Pflicht zu erfüllen: diesem wundervollen Lande Brasilien innig zu danken, das mir und meiner Arbeit so gute und gastliche Rast gegeben. Mit jedem Tage habe ich dies Land mehr lieben gelernt und nirgends hätte ich mir mein Leben lieber vom Grunde aus neu aufgebaut, nachdem die Welt meiner eigenen Sprache für mich untergegangen ist und meine geistige Heimat Europa sich selber vernichtet. Aber nach dem sechzigsten Jahre bedürfte es besonderer Kräfte um noch einmal völlig neu zu beginnen. Und die meinen sind durch die langen Jahre heimatlosen Wanderns erschöpft. So halte ich es für besser, rechtzeitig und in aufrechter Haltung ein Leben abzuschließen, dem geistige Arbeit immer die lauterste Freude und persönliche Freiheit das höchste Gut dieser Erde gewesen. Ich grüsse alle meine Freunde! Mögen sie die Morgenröte noch sehen nach der langen Nacht! Ich, allzu Ungeduldiger, gehe ihnen voraus. Stefan Zweig Petropolis 22. II. 1942."

Tragisches Ende wurde 2016 verfilmt

Das Leben und das tragische Ende von Stefan Zweig schildert der deutsche Spielfilm "Vor der Morgenröte" aus dem Jahr 2016. Mit Recht hat das Magazin DER SPIEGEL diesen Streifen in der Regie von Maria Schrader sowie mit Josef Hader und Aenne Schwarz als das Ehepaar Stefan und Charlotte (Lotte) Zweig in Anlehnung an eines der bekanntesten Bücher von Stefan Zweig eine Sternstunde des Kinos genannt. Der Film zeigt unter anderem, wie der Autor unter dem ihm aufgezwungenen Exil leidet, sich aber nicht bewegen lässt, öffentlich und mit dem ganzen Gewicht seines Namens das Wort gegen den Naziterror zu ergreifen, wie es andere prominente Autoren taten. Hitlers militärischen Erfolge zu Beginn des Zweiten Weltkriegs und der Naziterror in seiner Heimat lassen ihn schier verzweifeln. Dass Freunde in Europa bleiben mussten und er ihnen nicht helfen kann, ist für ihn eine unerträgliche Last, die ihn und seine Frau zur tödlichen Dosis Veronal greifen lässt. Zweigs letztes Wohnhaus an der Rua Gonçalves Dias Nr. 34 in Petrópolis nördlich von Rio de Janeiro ist von einem privaten Verein in ein Museum verwandelt worden. Hier hatte der Schriftsteller seine Autobiografie "Die Welt von Gestern" sowie die "Schachnovelle" überarbeitet und einen Essay über Montaigne entworfen.

22. September 2020

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